Heute ist Samstag, das merkt man der Umgebung auch sofort an. Es sind noch deutlich mehr aufgebrezelte Selfie-Strategen unterwegs, die teilweise die verrücktesten Verrenkungen veranstalten, um sich mit dem One World Tower als Hintergrund selbst zu inszenieren.
Gern genommen werden dabei auch die Poller, mit denen die Fußgängerzonen abgetrennt werden, wobei es zu lustigen Szenen kommt, wenn Leute hinaufklettern, dann aber ohne Hilfe nicht mehr herunterkommen.
Mit solchen Schuhen klettert man natürlich nirgendwo hinauf:
One World Tower ist heute auch unser Ziel, genauer gesagt das Observatory im 102. Stock. Tickets haben wir über den Paß ja quasi schon, was wir aber auch hier wieder brauchen, ist ein Zeitfenster. Bei dem Versuch, dies online zu buchen, erhalte ich immer nur zur Antwort, der Paß müsse bei Buchung des Time Slots vorgezeigt werden. Gottseidank ist es ja quasi nebenan, also flitze ich vor dem Frühstück schnell hinüber.
Es gibt zwar keine gesonderte Warteschlange für Paßinhaber, trotzdem muß ich nicht sehr lange anstehen, noch ist hier nicht viel los. Weil wir jetzt aber erstmal frühstücken wollen, buche ich ein Zeitfenster für 13 Uhr. Unser Reiseführer empfiehlt bei fast allen Unternehmungen, diese vor 14 Uhr absolviert zu haben, da es danach zumeist deutlich voller würde. Also liegen wir damit gut in der Zeit.
Die Sonnenuntergangsstunden wären auch hier nicht im Paß enthalten gewesen und sind sicher toll, andererseits kann man bei steilerem Sonnenstand tiefer in die Häuserschluchten hineinschauen. Außerdem haben wir ja noch den Sonnenuntergang auf dem Empire State Building vor uns und den Sonnenuntergang über dem Hudson sehen wir sowieso jeden Tag.
Daß wir den so gut sehen liegt vor allem daran, daß zwischen den ganzen hohen Gebäuden auf der Neulandgewinnung jenseits der West Street ein kleineres Gebäude mit einer runden gläsernen Kuppel steht, das den Blick auf den Fluß freigibt, der Brookfield Place. Wir haben natürlich inzwischen längst gegoogelt, was das ist, und nach dem Frühstück mit Croissants, Kaffee und Orangensaft möchte die Mutter sich das gern mal anschauen, denn was wir da gelesen haben, klingt interessant.
Wir trödeln also vom Eataly aus am zweiten Wasserbecken des Memorial vorbei über die Straße zum Brookfield Place. Die Geschäfte sind weniger interessant, Mailänder Mode, die Boutiquen minimalistisch eingerichtet wie avantgardistische Kunstgalerien und bei den Preisschildchen könnte man glauben, hier würde noch in italienischen Lire gerechnet, denn daß das Dollarpreise sein sollen, kann nicht deren Ernst sein.
Wenn man den Bereich der Nobelklamotten hinter sich gelassen hat, öffnet sich das Gebäude zu dem verglasten Atrium, dessen Dach man vom Hotel aus sehen kann. 36 Meter hoch ist die Kuppel, und darunter 16 Fächerpalmen. Laut Internet 12 Meter hoch, aber die Angabe kann sehr gut schon veraltet sein, so groß sieht die Lücke zwischen Palmwedeln und Kuppel gar nicht mehr aus. Die Palmen fühlen sich hier offensichtlich sehr wohl, sie wachsen so gut, daß sie regelmäßig ausgetauscht werden müssen, zuletzt 2013.
Das Ensemble ist ein beeindruckender Anblick, man fühlt sich wie zwischen den Säulen eines ägyptischen Tempels. Ein französisches Café befindet sich am rückwärtigen Ausgang, durch den man dann wieder am Yachthafen ankommt, an dem wir an unserem ersten Tag bereits waren.
Wir schauen uns eine Weile um, dann wird es auch langsam Zeit, zum Observatory zu gehen. Vermutlich müssen wir noch durch eine Security, wie bei der Fähre zur Freiheitsstatue auch und vermutlich auch sonst überall, wo wir noch hinkommen werden.
So schnell kommt man nach Südamerika. Selfie in der Weltkugel vor dem One World Tower:
Genau so ist es dann auch. Mit unseren Time Slots werden wir direkt ins Untergeschoß durchgewunken, wo wir unsere Tickets und Rucksäcke scannen lassen müssen. Direkt im Anschluß geht es zum Fahrstuhl, dem schnellsten der Welt, wie es heißt. Während wir warten, begrüßt uns eine Leinwand, auf der die Länder, aus denen die aktuell angekommenen Besucher stammen, in Großbuchstaben aufleuchten. Irgendwann kommt Deutschland, das sind dann vermutlich wir. Es dauert aber nur eine Sekunde, dann laufen uns andere Nationalitäten wieder den Rang ab.
Daß der Fahrstuhl so schnell ist wie Usain Bolt laufen kann, merkt man tatsächlich. Wir sind alle unempfindlich, was solche Dinge angeht, und werden auch normalerweise nicht seekrank, aber die Mutter und ich haben hier tatsächlich ein etwas flaues Gefühl, so schnell geht es aufwärts.
Kaum aus dem Fahrstuhl heraus folgt oben zunächst eine kurze Filmvorführung. Auf die abgehängten Fensterflächen wird die Bebauungsgeschichte Manhattans projiziert, in Windeseile wachsen die Wolkenkratzer in den Himmel, zu einer Zeit, als in Europa noch gestritten wurde, ob Hausdächer spitz oder flach zu sein haben. Als der Film in der Gegenwart angekommen ist, heben sich die Leinwände und man blickt auf die reale Skyline. Der Ehemann und die Mutter sind beide sehr ergriffen von dem Gesehenen. Mir persönlich ging das alles zu schnell und mir ist auch immer noch ein bißchen schwindelig, also will sich so richtig keine Rührung einstellen.
Einmal im eigentlich Observatory angekommen erschlägt einen der Anblick der Stadt von oben aus dem 102. Stock dann aber förmlich.
Bei dem wie gewohnt guten Wetter haben wir gefühlt eine Sicht bis zum Pazifik.
Brooklyn Bridge und Manhattan Bridge daneben:
Da es kein Zeitlimit gibt, wie lange man sich hier aufhalten darf, bleiben wir bestimmt zwei Stunden. Natürlich interessiert uns besonders der Bereich um unser Hotel, und je länger man hinausschaut, desto mehr Details entdeckt man.
Wer erkennt das Millenium?
Zum Beispiel die Dachgärten. Eine Welt, vor den Blicken der Fußgänger verborgen. Muß toll sein, hier seine Mittagspause zu verbringen.
Obwohl ich normalerweise nicht zu knapp Höhenangst habe, macht sich diese hier kaum bemerkbar.
Im Obergeschoß des Observatory gibt es eine Restauration. Wenn man an einem der gedeckten Tische sitzen und essen möchte, muß man reserviert haben, aber es gibt auch Snacks auf die Faust, die man an Stehtischen verzehren kann. Wir holen uns ein paar Getränke und einen Burger und finden auch einen freien Tisch.
Von hier oben aus hat man einen guten Blick in die Runde unter uns. In den Fenstern sind kleine Skyline-Silhouetten aufgebaut, das dient vermutlich nicht nur dekorativen Zwecken, sondern soll verhindern, daß die Leute sich in die Fensternischen hocken. Insgesamt gibt es hier viel zu wenig Sitzgelegenheiten.
Schräg unterhalb von uns eine Fläche, die aussieht wie ein Glasboden. So etwas habe ich vor vielen Jahren schon mal im CN-Tower in Toronto gesehen, damals noch das höchste Gebäude der Welt, ganz kurz bevor irgendein Turm in Kuala Lumpur ihm den Rang ablief. Auch wenn ein Schild dort darauf hinwies, daß die Glasfläche mit dem Gewicht von 5 Nashörnern belastet werden könnte, habe ich mich damals schon nicht getraut, mit beiden Füßen darauf zu stehen. Auch das Technikmuseum in Berlin hat auf dem Balkon so ein Gebilde, das ich ebenfalls nur am Rand betreten habe. Und jetzt hier, im 102. Stock, never ever. Die anderen Leute sehen das wohl lockerer und latschen munter kreuz und quer, ein Kleinkind setzt sich mitten darauf und folgt mit den Fingern den weit unter ihm herumfahrenden Lkw. Da werde ich dann stutzig.
Wir erinnern uns, wie das Gebäude aussieht, in dem wir uns gerade befinden:
Es kann also überhaupt nicht sein, daß wir irgendwelche Straßen direkt unter uns durch einen Glasboden sehen könnten. Und tatsächlich ist es dann auch nur eine Kameraprojektion, die unter den Füßen wie ein Film abläuft. So traue ich mich dann auch mal drauf, ganz ohne Nervenkitzel.
Hinaus wird man durch den unvermeidlichen Souvenirshop geleitet. Dem Ehemann fällt auf, daß es alles mögliche an One World-Devotionalien zu kaufen gibt, aber nichts, das mit dem World Trade Center vor 2001 zu tun hat. Vermutlich ist das psychologisch auch gut so, bei mir kam der Gedanke zwischendurch ohnehin kurz auf, daß wir genau in der gleichen Situation wären, in der sich die Menschen damals befanden, die damals in den Stockwerken oberhalb des Flugzeugeinschlages gearbeitet haben. Die Vorstellung läßt mich schaudern.
Mit dem Fahrstuhl in 60 Sekunden 102 Stockwerke abwärts, dann taumeln wir wieder auf die Straße. Es ist völlig unwirklich, daß wir gerade noch da oben waren.
Es ist früher Nachmittag und bis wir heute Abend das New Yorker Nachtleben erkunden werden, zerstreuen wir uns in alle Himmelsrichtungen.
Der Ehemann gesellt sich zu Metin auf die Bänke vor dem Millenium mit Blick auf das Oculus. Metin hat den Bau des Bahnhofs hier miterlebt und hat jede Menge Insiderwissen. 4 Milliarden Dollar hat es gekostet, doppelt so viel wie ursprünglich veranschlagt, was den Ruf des Architekten wohl nachhaltig geschädigt hat. Die eigenwillige Konstruktion mit ihren gerippten Flügeln, von denen jeder einzelne 80 Tonnen wiegt, trägt ihr Übriges dazu bei, das Gebäude zu einer wahren Geldverbrennungsmaschine zu machen. Die Oberlichter in der Gebäudemitte, die die Halle im Inneren erhellen, sind durch die beständigen Zugkräfte permanent reparaturbedürftig, was erklärt, weshalb wir täglich die aus unserer Hotelperspektive ameisenkleinen Arbeiter darauf herumklettern sehen.
Die Mutter möchte nochmal in den Brookfield Place, das französische Café ausprobieren und sich am Yachthafen ein bißchen sonnen. Das kriegt sie tatsächlich problemlos hin, ganz ohne Englischkenntnisse, ich bin schwer beeindruckt, habe tatsächlich überhaupt keine Lust sie zu begleiten.
Wir haben heute Abend noch Programm und ich schaue kurz beim Concierge vorbei, der mir sagt, viertel nach sechs ein Taxi zu nehmen würde vollkommen reichen, wenn wir um 19 Uhr in der 44. Straße sein müssen. Also habe ich noch locker zwei Stunden und in denen steht mir den Sinn nur nach der Badewanne. Draußen kann die Welt jetzt meinetwegen Kopf stehen, mir egal.
Um viertel nach acht stehen wir dann frisch gewaschen vor dem Concierge, der uns in bekannter Manier ein Taxi herbeizaubert. Dann geht es an der Westseite Manhattans aufwärts nach Norden und an der 44. Straße rechts ab. Inzwischen kennen wir uns ein bißchen aus. An der Kreuzung läßt er uns raus, auf der gegenüberliegenden Seite ist die 44. Straße verstopft, das kann man schon von hier aus sehen, da sind wir schneller zu Fuß. Das finden wir sehr fair, er hätte uns ja für das im Stau-Stehen noch Geld abknöpfen können.
Die letzten Meter gehen wir also zu Fuß und dann stehen wir vor der Empfangsdame, die kontrolliert, ob wir auch auf der Gästeliste stehen. Wir stehen, sie amüsiert sich ein bißchen, daß sie unsere Namen nicht aussprechen kann, und bittet uns dann, ihr zu folgen. Und wir treten ein ins Allerheiligste, wir sind im Birdland.
Vor der Reise hatte die Mutter sich gewünscht, ein bißchen Nachtleben in New York erleben zu dürfen, was mich vor einige Probleme stellte, in dem Überangebot dieser Stadt das Richtige zu finden. Ein Theaterstück fiel schon aufgrund der Sprachbarriere aus, die Auswahl an Musicals gefiel mir nicht sonderlich, die Metropolitan Opera und auch die Carnegie Hall begannen ihr Winterprogramm erst im Oktober, vorher war die Anzahl der Veranstaltungen spärlich gesät.
Völlig ratlos, welche der zahlreichen kleineren Veranstaltungslokalitäten etwas Passendes bieten würde, das uns allen dreien gefällt, war ich schon kurz davor, den Tip einer Freundin aufzugreifen
Ellen's Stardust Diner is a 1950's theme New York diner with retro-themed memorabilia, an indoor train, a 1956 Predicta television, and a “drive-in theater” screen.
www.ellensstardustdiner.com
Nur daß man dort nicht reservieren kann und anscheinend gerade am Abend nur mit viel Glück einen Tisch bekommt.
Wenn nur in der Carnegie Hall etwas gewesen wäre, gern auch etwas Klassisches, allein schon das historische Gebäude, in dessen oberen Stockwerken viele Jahre der Pianist Don Shirley eine Wohnung gehabt, hat, das hätte ich schon gern gesehen, da wäre fast nebensächlich gewesen, was man sich dort angehört hätte. Don Shirley, dessen mutige Entscheidung, als schwarzer Musiker in den 50er Jahren eine Tournee in die Südstaaten durchzuführen, mit Green Book verfilmt worden ist, mit dem großartigen Viggo Mortensen, der Tony Lip darstellt, den Fahrer Don Shirleys, der ursprünglich als Rausschmeißer im Copa gearbeitet hat, also dem Copa, dem legendären Jazzclub, der damals vielleicht noch etwas berühmter war als das Birdland.
Wer jetzt meint, ich schreibe wirr, hat nicht ganz Unrecht, denn das ungefähr war die Assoziationskette, die mir die Rettung gebracht hat. Wir gehen in einen Jazzclub!
Die Recherche ergab, daß es sowohl das Copa als auch das Birdland noch heute gibt. Während das Copa heute vorwiegend Tanzveranstaltungen mit dem Schwerpunkt auf lateinamerikanischen Tänzen durchführt, ist das Birdland heute, nach zweimaligem Umzug, zwar nicht mehr das originale Birdland, steht aber immer noch ganz in der Tradition des ursprünglichen Clubs.
Benannt nach Charlie „Bird“ Parker, dem Saxophonisten, ist das Birdland vermutlich den meisten aufgrund
seiner Hintergrundmusik bekannt, die eigens für den Club komponiert und vor und nach den Konzerten gespielt wurde: Lullaby of Birdland.
Jazz jeglicher Couleur wird hier live gespielt und in den 8 Tagen unseres Aufenthaltes hätte es mehrere Live-Konzerte gegeben, die durchaus uns allen dreien gefallen hätten. Aber der absolute Hit ist, daß genau in unserem Zeitraum ein Musiker hier auftritt, dessen Musik wir seit Ewigkeiten leidenschaftlich gern hören.
Der Ehemann und ich sind beide große Fans des Brazil Jazz und wenn ich irgendwann mal nicht mehr in Berlin wohnen sollte, ist es vermutlich auch das Jazzradio, das mir mit am meisten fehlen wird, so beim Autofahren. Wem man dabei immer wieder über den Weg läuft ist Marcos Valle. Vielleicht sagt der Namen den meisten nichts, aber seine Kompositionen gehören zu den Brazil Standards und jeder hat sie schon gehört:
Die Wände sind übersät mit Schwarzweißfotografien der Künstler, die hier bereits aufgetreten sind, alle waren sie da, von Duke Ellington bis Diana Krall.
Wir bekommen einen schönen Tisch mit unverstellbarem Blick auf die Bühne. Um 20 Uhr beginnt das Konzert und bis dahin ist Zeit zum Essen. Der Eintritt ins Birdland ist mit $ 35 pro Person und für einen Künstler vom Kaliber Marcos Valles nicht teuer, es besteht allerdings Verzehrzwang in Höhe von mindestens $ 20. Dafür gibt es eine ziemlich umfangreiche Auswahl, die Küche bezeichnet sich als irgendwas zwischen amerikanisch und Cajun. Wir finden alle etwas, das uns gefällt, die Portionen sind üppig und es ist sehr lecker. Zu Beginn des Konzerts gönnen wir uns ein paar Cocktails und dann kann es unseretwegen losgehen.
Marcos Valle ist unverkennbar alt geworden, aber ebenso unverkennbar hat er Spaß am Auftritt. Neben der bekannten Summer Samba spielt er auch
das besonders ich sehr mag. Der Mutter, die Marcos Valle nicht kannte, gefällt es erwartungsgemäß auch. Alles andere hätte mich auch gewundert, hat das Ganze doch ein bißchen was von Fahrstuhlmusik und wer keine keine komplette Aversion gegen sanfte Melodien hat, muß das eigentlich mögen.
Die ganze Mühe der Vorbereitung hat sich gelohnt, es ist ein wunderbarer Abend mit schöner Musik an einem bedeutungsvollen Ort. Selbst der Gang aufs Klo ist hier besonders, da hängt ein lebensgroßes Portrait von Billie Holiday, wie alle Bilder hier scharzweiß, sie sieht wunderschön aus mit ihren weißen Kamelien im Haar. Auf dem Herrenklo hängt vermutlich Charlie „Bird“ Parker, aber da war ich ja nicht.
Wir fühlen uns wie echte New Yorker Kulturbeflissene, als wir zurück auf die 9. Straße gehen, die die 44. kreuzt. An der Straße winkt der Ehemann nur einmal einem Taxi und schon hält es neben uns. Jetzt haben wir es auch drauf.
Auch die anderen Fahrer zuvor auf dem Weg zum Central Park und zurück waren freundlich, aber nach einer kurzen Erkundigung welche Sprache wir denn sprächen, versiegte die Unterhaltung zumeist auch, was uns nicht unrecht war, so beschäftigt wie wir mit Gucken waren. Heute ist das anders. Dieser Fahrer ist nicht nur besonders gesprächig, sondern auch der erste, der kontrolliert, ob wir angeschnallt sind. Hier in New York fahren wir nicht Taxi, erklärt er uns, wir fliegen. And I sure fly, betont er noch.
Das bestätigt sich als wahr, erschwerend kommt hinzu, daß er die Strecke auswendig zu kennen scheint, denn er fährt die meiste Zeit mit nach hintem gedrehtem Kopf. Das liegt daran, daß er uns rasch als Deutsche identifiziert hat und über den Umweg Ukraine und Gaspipelines, über die er gut informiert ist, schlägt er in einem erregt vorgetragenen Monolog den Bogen zur Inflation und Flüchtlingswelle und es dauert nicht lange, bis er beim Punkt ist: Er ist Trumpist, will den Mann zurück und wenn nicht ihn, dann DeSantis.
Da komme ich jetzt mit meinem Floridawissen aber mal groß raus, denke ich, und konfrontiere ihn mit der Frage, ob er informiert sei, was DeSantis bezüglich einer vollkommenen Liberalisierung des Waffenrechts in Florida vorhabe. Waffen ohne Backgroundcheck für jeden, Waffen in der Hand psychisch Kranker und Waffen in der Hand offener Rassisten. Der Mann ist schwarz, aber dennoch völlig unbeeindruckt. Erschossen würde nur, wer sich zuvor auch falsch verhalten habe. Einzig mein Argument mit den psychischen Erkrankungen läßt er gelten, zieht aber auch hier die Linie zur Ukraine. Die Geldmittel für den medizinischen Sektor fehlten, weil Biden alles der Ukraine gibt, nur darum liefen ja so viele psychisch Kranke unbehandelt auf der Straße herum.
Im Nachhinein ist uns natürlich klar, daß wir vermutlich in einem Taxi gesessen haben, unter dessen Beifahrersitz sich ein kleines Waffenarsenal befunden haben dürfte. Angst habe ich trotzdem keine, der Mann wirkt trotz seines leicht enervierten Redeflusses intelligent und reflektiert. Er merkt dann anscheinend auch irgendwann, daß es nun gut ist mit der Politik und überrascht uns zum Schluß noch mit ein paar Insiderkenntnissen über Borussia Dortmund, auf die wir noch viel weniger zu erwidern wissen als auf politische Themen. Vermutlich hält er uns für komplette Vollpfosten.
Als wir nachts am Millenium ankommen, ist er dann auch wieder ganz fröhlich und betont, wie sehr er sich gefreut habe, mit uns zu reden. Bizarres Ende eines großartigen Tages. Wir sitzen noch ein bißchen in der lauen Luft und versuchen die beseelte Stimmung des Birdland wiederzufinden. Die Mutter seufzt, daß sie sich das genau so vorgestellt habe. Der Ehemann und ich, als Marcos Valle-Fans ist sowieso hin und weg. Das war schön.
Morgen wird es ruhiger. Da machen wir einen entspannten Spaziergang durch Little Italy.
Zumindest glauben wir das jetzt noch.