Motus, Muscheln, Menschenfresser - Zwei Monate in Französisch Polynesien im Sommer 2022

boopi

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Absolut kein Traumziel für mich, aber ich bin neugierig und lasse mich auch gerne einmal vom Gegenteil überzeugen... ;)
 

berlinerin

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Wow, klingt ja spannend. Ehrlich gesagt war mir nicht bewusst wie groß die Südsee so ist....bin sehr gespannt auf deinen weiteren Bericht. :stareyes:(y)
 

shorty1960

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stimmt, für mich war Südsee mit Bora Bora gleichzusetzen….und ich hatte keine Ahnung wie groß dieses Gebiet ist…ich lasse mich gerne auf euerer jetzt schon spannenden, interessanten und sicher wunderschönen Reise mitnehmen
 

Texelrita

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Wow auch ich habe jetzt direkt mal ne Lehrstunde hinter mir, denn auch ich hatte so diese Bora Bora und Tahiti Thema im Kopf und werde eines besseren belehrt, supertoll und ich bin so gespannt, leg los.....bitte!
 

Ehemann

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stimmt, für mich war Südsee mit Bora Bora gleichzusetzen….
... diese Bora Bora und Tahiti Thema im Kopf ...
Das hab ich mir gedacht. ;)

War bei mir selbst ja nicht anders, bis ich dann diesen Reiseführer in die Hand nahm und das auf meiner dritten Südseereise zur Abrundung des Themas mal selber sehen wollte. Also gerne noch ein paar Worte dazu, denn der Ruf der Insel als absolute Legende ist nicht ganz unbegründet. Bora Bora war eine Militärbasis der Amerikaner im Pazifikkrieg, wurde dafür überdurchschnittlich stark ausgerüstet und dann fiel dort nie ein einziger Schuß. Noch nach dem Krieg hingen zahlreiche Soldaten dort fest, wurden erst spät oder gar nicht mehr abgezogen und waren für immer verdorben, denn sie hatten das Paradies gesehen und das war die Insel zu diesem Zeitpunkt ja wirklich noch. Es war ein bißchen wie bei der Bounty-Geschichte, man hatte längst Bekanntschaften oder feste Beziehungen zu einheimischen Damen und ließ sich seit Jahren die Sonne auf den Bauch scheinen. Die wollten einfach nicht mehr nachhause!

Ich glaube, es war dann in den 50ern, als eine kleine Gruppe GIs eine solide Einkommensquelle suchte, ein kleines Strandhotel eröffnete und in diesem Kontext so nebenbei das Wasserbungalow auf Stelzen erfand! Genau die Art touristischer Sehnsuchtsbehausung, die bis heute funktioniert und die man ja gemeinhin den Malediven zuschreibt. Die Hütten dort sind, wenn man so will, aber lediglich nur Kopien dieser frühen Idee aus der Nachkriegszeit im Pazifik. Wie auch immer, der Südseetourismus nach heutigem Verständnis wurde tatsächlich auf Bora Bora begründet und das wird für immer der Verdienst dieser Insel bleiben.

Das Hotel mit den (inzwischen renovierten) Hütten gibt es auf Bora Bora noch heute, ebenso wie den militärischen Flugplatz auf einem Motu (polynesisch: "kleine Insel") in der Lagune, auf dem heute die Touristen landen. Der hat eine tolle Lage und die anschließende Fahrt mit dem Taxiboot durch die Lagune ist durchaus stimmungsvoll. Sehenswert sind dann noch die im Dschungel verbliebenen Kanonen, mit denen man japanische Schlachtschiffe abwehren wollte. Damit hat die Insel ihr Pulver im wahrsten Sinne des Wortes dann aber auch schon verschossen. Man kann auf Bora Bora heute nichts mehr erleben, das man nicht auch auf anderen Inseln Französisch Polynesiens genau so oder "besser" haben kann. Zum halben Preis und in weniger kommerzieller, authentischerer Form, ohne massentouristische Intensivbebauung.

Typische Motu-Unterkünfte auf Bora Bora, die mehrere Tausend Euro pro Nacht kosten können:




Unsere Motu-Unterkunft im Austral-Archipel. Alle Inseln auf dem Bild und die Lagune hatten wir für uns allein. Für 85 Euro:




Suse wird den Bericht wahrscheinlich heute schon fortsetzen. :)
 

Sabine B.

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Ich bin schon wieder geflasht! Einfach toll! 😀❤️
Mein Mann liest auch hier mit, weil wir ‚die Südsee‘ (einen kleinen Teil) auf einer Kreuzfahrt mit einem kleinen Phoenix Schiff erkunden werden - aber das erst in 2026 oder 27 (vorher ist fast jeder Urlaubstag verplant und Sabbatical geht für uns beide leider nicht 😔).
Die Borabora Brille hatte ich auch auf - wie interessant zu lesen, dass der Besuch völlig falsch bewertet wird.
Und mich gruselts und fasziniert es zugleich - Menschenfleisch? 😨 Dafür braucht es ja dann erstmal einen toten… Menschen…. Ich bin sowas von gespannt 😳
 

Ehemann

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Menschenfleisch? 😨

Das war natürlich ironisch gemeint! ;)

Das sind die direkten Nachfahren der praktizierenden Kannibalen, die behängen sich mit Knochen und manche sehen wirklich gruslig aus, aber fressen wollten sie uns nicht. Andere Touristen hatten da weniger Glück, aber dazu kommen wir später...

Habt Ihr denn schon Routendetails für den Südsee-Trip auf dem Schiff?
 

Sabine B.

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Das war natürlich ironisch gemeint! ;)

Das sind die direkten Nachfahren der praktizierenden Kannibalen, die behängen sich mit Knochen und manche sehen wirklich gruslig aus, aber fressen wollten sie uns nicht. Andere Touristen hatten da weniger Glück, aber dazu kommen wir später...

Habt Ihr denn schon Routendetails für den Südsee-Trip auf dem Schiff?
Gott sei Dank 😅
Die Route variieren jährlich, da man ja Teilstücke der jeweiligen Weltreise des Schiffes bucht. Insofern weiss man bis zum veröffentlichten Routenverlauf nur, dass es wieder Südseeinseln gibt, aber kennt nicht den genauen Routenverlauf innerhalb des Teilziels. Für 26 denke ich wird es ab Ende 24/Anfang 25 nach und nach Routenbekanntgaben geben. 😊
 
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Suse65

Suse65

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Weil wir auch die Polynesischen Francs, wie so viele der kleinen exotischen Währungen, in Deutschland nicht vorab tauschen konnten, führt der erste Weg im Flughafen zum Geldautomaten. Wechselkurs 1:120, im Kopf bekomme ich das jetzt nicht hin, wieviel ich da eintippen muß, um die Maximalsumme von 500 Euro zu ziehen, das sind mir jetzt spontan zu viele Nullen. Die Währung ist das erste Indiz, daß das mit der EU halt doch nur teilweise stimmt.

Französisch Polynesien ist ein Pays d’outre-Mer, ein Überseeland, das, anders als die als Départements d’outre Mer klassifizierten Länder wie die Réunion, Martinique oder Mayotte, nicht wirklich zum französischen Mutterland gehört, aber irgendwie eben doch.

Es ist für den Ehemann und mich ja nicht die erste Reise in den pazifischen Raum und in anderen Staaten ist das Leben meist ungleich härter und restriktiver als hier, wie wir gesehen haben. Die Mär von der sorglosen Existenz in der Südsee ist leider nur genau das: eine Phantasievorstellung. Wir werden im Laufe der Reise einiges hören, sowohl von Metropolfranzosen als auch von Polynesiern, ob und wie das komplexe System, in dem beide Länder miteinander verflochten sind, funktioniert.

Hier geborene Polynesier haben die französische Staatsangehörigkeit und genießen dadurch viele Vorteile in Bezug auf Berufsperspektiven oder Zugang zu staatlichen Sozialleistungen. Durch den französischen Paß reisen sie leichter als andere Nationalitäten, die oft Visa benötigen, und umgekehrt ist es genauso: Die Einreisebestimmungen sind an die der EU angelehnt. Angehörige eines Schengen-Staates könnten, wenn sie denn nicht irgendwo in einem Transitlant zwischenlanden müßten, theoretisch hier am anderen Ende der Welt mit dem Personalausweis einreisen und sich unbegrenzt hier aufhalten, mit französischer Staatsangehörigkeit hat man sogar freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Eine Situation die für viele Franzosen zumindest aus der Ferne attraktiv erscheint. Ohne eine Stelle in einer qualifizierten Tätigkeit bleibt jedoch meist nur, mit den Polynesiern um die Jobs im Tourismus zu konkurrieren oder die Selbständigkeit, die einem dann den Traum vom Müßiggang in der Südsee vermutlich schnell austreibt.

Auch das Fare Suisse, polynesisch-französisch für „Schweizer Haus“, in dem wir die ersten Tage wohnen werden, ist so ein Beispiel und ein echtes Erfolgsmodell. Betrieben von einem Deutsch-Schweizer, der zugleich als Honorarkonsul für die deutschsprachigen Länder fungiert, und seiner französischen Ehefrau, einem der am härtesten arbeitenden Menschen, den wir je gesehen haben. Thérèse ist abends die letzte, die sicherstellt, daß die Gäste im Restaurant alles haben, was sie brauchen, und morgens die erste, die die ankommenden Touristen vom Flughafen abholt, so auch uns jetzt.



Als ich vom Geldautomaten zurückkomme, steht Thérèse schon da mit ihrem Fare Suisse-Schild in der einen Hand und einem Bündel Leis in der anderen. Die schöne Tradition der Polynesier, neu angekommenen Gästen Blumenkränze umzuhängen, erleben heute allerdings nur noch diejenigen, die von ihrer Unterkunft abgeholt werden, alle anderen gehen leer aus. Unsere Leis bestehen, genau wie im Lied zuvor, aus aufgefädelten Tiaré- und Hibiskusblüten und duften betäubend.

Sie ist ein bißchen erleichtert, daß wir uns auf Französisch verständigen können, denn, so sagt sie etwas schuldbewußt, sie habe trotz ihres Ehemannes nie Deutsch gelernt. Thérèse spricht das ganz normale Französisch einer gebildeten Französin und nicht das Argot eines Kommissars, der einen Tunichtgut verhört, die Probleme beim Filmegucken aus dem Flugzeug habe ich hier nicht. Beni, ihr Mann, spricht natürlich Deutsch, aber das ist nicht der Grund, weshalb wir das Fare Suisse als Unterkunft ausgewählt haben.

Eigentlich hätten wir ein bestimmtes Hotel näher im Stadtzentrum Papeetes bevorzugt, aber das hat anscheinend die Pandemie nicht überlebt und ist geschlossen. Das Fare Suisse erschien uns von allen Alternativen die netteste, etwas außerhalb gelegen, aber in einem netten Stadtteil, ein bißchen am Hang, mit schönem Blick über den Hafen. Wir stellen uns das klein und familär vor und sehen uns schon morgens beim Frühstück gemütlich das legendär gute, von Beni höchstpersönlich gebackene Brot essen. Daß das vielleicht nicht so ganz stimmt, merken wir schon, als wir gemeinsam mit Thérèse noch auf sechs weitere Gäste warten, alles Franzosen, die gleichzeitig mit uns angekommen sind. Der Kleinbus ist dann schon brechend voll, als wir langsam im Berufsverkehr auf Papeete zu fahren.

Thérèse erklärt uns im Vorbeifahren schon die wichtigsten Dinge über Paofai, den Stadtteil, in dem wir wohnen. Etwas unterhalb vom Fare Suisse ein großer französischer Supermarkt, einer der wenigen in ganz Papeete, das ist ein echtes Plus.

Im Gästehaus angekommen, sind wir dann verblüfft über die Größe der Anlage.



Ausgehend von einigen Zimmern um die Büroräume des Konsulats herum zieht sie sich über den halben Hang, eine richtige kleine Stadt, die sich um eine zentrale Terrasse gruppiert, auf der gefrühstückt wird und abends auch ein bißchen Restaurantbetrieb ist.



Das Ganze hat durchaus trotzdem etwas Familiäres, im Innenhof die Hühner, die zwischen den angrenzenden Grundstücken durch den Zaun wechseln, und die Katzen, die tagsüber das Buffet als Schlafplatz nutzen.



Wir bekommen ein Zimmer im obersten Stock, Fatu Hiva heißt es. Fatu Hiva ist eine Insel der Marquesas, die wir auf dieser Reise allerdings nicht kennenlernen werden. Fatu Hiva hat eine kleine Terrassenfläche vor der Tür, von der aus wir in den kommenden Tagen das Geschehen hier beobachten können. Vor allem ich, da mein Uralthandy auch hier, in der obersten Etage, das W-LAN empfängt, während der Ehemann erneut auf die Frühstücksterrasse „zu Amber“ muß.

Beim Einchecken ist man schon ein bißchen erstaunt über unseren langen Aufenthalt. Viele Gäste widmen Tahiti und insbesondere der Hauptstadt Papeete nicht so viel Zeit. Die meisten reisen zu Beginn und Ende des Urlaubs hier nur durch und nutzen das Fare Suisse für den Kurzaufenthalt, Shuttle-Service von und zum Flughafen sowie den Service der Gepäckaufbewahrung und der Duschmöglichkeit am letzten Tag vor Abreise inklusive. Diese Tagesgäste mit einer, maximal zwei Nächten Aufenthalt machen dann auch den Hauptanteil der Gäste aus und auf uns, die wir hier länger bleiben, macht das Gästehaus den Eindruck eines quasi atmenden Organismus. Es saugt neu angekommende Touristen ein und spuckt sie am Folgetag wieder aus. Und fast immer sitzt Thérèse am Steuer der Kleinbusse. Wir fragen uns, wo sie die Energie hernimmt, die Frau ist die schwarze Varta auf Beinen.

Das Hochwuchten der Koffer zu Fatu Hiva ist allerdings beschwerlich, aber danach gibt es Frühstück und auch wir scheuen uns nicht, zur Legendenbildung des Beni-Brots beizutragen, es ist köstlich. Danach ist dann allerdings nicht mehr viel mit uns los und wir verschlafen den halben Tag, während am Kopfende des Bettes die Blumenketten vor sich hinduften.



Heute sind wir zu faul, uns runter in die Stadt zu bemühen, den ersten Abend verbringen wir im Fare Suisse und bestellen uns Pizza. Die Speisekarte im Restaurant hat genau drei Gerichte im Angebot, Pizza, Wurstplatte und Schweizer Käsefondue. Tatsächlich ist es ratsam, einen Tisch zu reservieren, denn häufig kommen Gäste wegen des Fondues von außerhalb. Daß die Terrasse nur zur Hälfte überdacht ist, sorgt bei den in den Tropen ja nicht seltenen Regenfällen für häufiges Stühlerücken und Gedrängel und wird uns an einem der nächsten Tage eine Einladung zu einem kostspieligen Whisky einbringen.

Heute Abend gönnen wir uns ein Bier. Eigentlich sind wir beide keine Biertrinker, aber das lokale Gebräu, Hinano, müssen wir probieren. Es existiert in drei, wie nennt man das, Malzsorten, und am besten schmeckt mir das dunkle, aufgrund der Farbe ambrée genannt.

 
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Suse65

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Auch am zweiten Tag lassen wir es langsam angehen, wir sind jetlagmäßig extrem früh wach und kommen in den Genuß eines Sonnenaufgangs über den Bergen von Tahiti.



Frühstück mit Beni-Brot und viel Kaffee, dann erwachen langsam wieder die Lebensgeister.

Danach etwas Beobachten der Hühnerschar auf dem Gelände, dabei haben wir das Wetter im Blick. Es sieht gar nicht mal so schlecht aus. Unter uns der vom Ehemann "Champignon" getaufte Supermarkt. Da müssen wir heute unbedingt noch hin.



Später sehen wir ein gewaltiges Kreuzfahrtschiff in den Hafen einlaufen, dessen Anblick aber von einem nicht weniger beeindruckenden Kriegsschiff abgelöst wird, das gleich daneben festmacht. Das ist kein verschlafenes Inselchen hier, auch wenn die bunten Ladekräne im Hafen ein bißchen wie Spielzeuge aussehen.

Dank meines W-LAN-sensiblen Handys kann ich gemütlich vor Fatu Hiva online Zeitung lesen und erfahre, daß das die Pearl Harbor ist, die mit der französischen Marine ins Manöver geht. Trotz der faktischen Unabhängigkeit Französisch Polynesiens übernimmt einige politische Aufgaben das selbsternannte Mutterland Frankreich, dazu gehören unter anderem Außenpolitik und Verteidigung. Natürlich geschieht dies nicht nur uneigennützig, natürlich ist es auch im Interesse Frankreichs, mit seinen Überseegebieten immer einen Fuß in der Tür strategisch wichtiger Länder überall auf dem Globus zu haben.

Eine Aufarbeitung des der Bevölkerung der Atomtestgebiete angetanen Unrechts beginnt eigentlich gerade erst. Die Auseinandersetzung damit ist sehr präsent in den Medien, gerade jetzt vor den Wahlen.

Gegen die Übernahme der Verteidigung in Kollaboration mit den US-Amerikanern herrschen allerdings keine allzugroßen Vorbehalte, im Gegenteil, viele junge Polynesier streben eine Karriere in der Armee an. So lesen wir von einem während des wochenlangen Aufenthalts der Pearl Harbor ins Leben gerufenen Programms „Adopt a Soldier“, in dem die Besatzungsmitglieder der Pearl Harbor zu Homestays in polynesischen Familien eingeladen werden.


Wir selbst wollen natürlich auch was von der Insel kennenlernen und da sich der von unserer Ichetucknee-Bekanntschaft aus Guam vorgeschlagene Guide als nicht verfügbar herausgestellt hat, müssen wir nun Alternativen finden. An der Rezeption gibt es Flyer verschiedener Touranbieter. Eine Inselrundfahrt mit Stops an den gängigen Sehenswürdigkeiten, einfach so zum Kennenlernen, und ein bißchen was Ausführlicheres ins Inselinland stellen wir uns vor. Die polynesischen Mitarbeiterinnen im Fare Suisse sind eine herzlicher und hilfsbereiter als die andere, aber ob sie wirklich beurteilen können, wie gut die Touren aus Sicht eines Touristen sind, wage ich zu bezweifeln.

Zum Glück hängen gerade ein paar Franzosen im Frühstücksbereich ab und trinken Kaffee. Als sie mich mit den Flyern herumhantieren sehen, bekomme ich ein paar Tips, welche Touren empfehlenswert seien. Eigentlich hätten wir ja lieber etwas Individuelleres gemacht, aber angesichts des Kreuzfahrtschiffs, das im Hafen liegt, können wir froh sein, überhaupt noch spontan Plätze zu bekommen. Die Tour ins Inselinnere findet schon morgen statt, die Inselrundfahrt in drei Tagen. Das hätten wir tatsächlich besser vorbereiten müssen, aber ohne je vor Ort gewesen zu sein, ist es auch schwierig, die verschiedenen angebotenen Ausflugstouren nur anhand des Werbesprechs im Internet einzuschätzen.

So bleibt am ersten Tag noch Zeit, uns im Supermarkt mit Getränken und Snacks einzudecken und einen ersten kleinen Vorstoß in die Stadt zu wagen. Und nun zeigt sich erstmals der Nachteil des Fare Suisse. Für unbeschwerte Spaziergänger mag die Entfernung zum Stadtzentrum unbedeutend sein, mit kiloschweren Foto- und Videokameras auf dem Buckel wird uns das Marschieren in der tropischen Schwüle schon nach kurzer Zeit ziemlich sauer, und wir wissen ja, daß wir das Ganze nachher auf dem Rückweg wieder berghoch zurück müssen.

Zumindest ist das Viertel nett, mit den großflächigen Wandmalereien hat man sich bemüht, es ansprechend zu gestalten. Es gibt ein paar Geschäfte, den Supermarkt, eine Schule, es ist eigentlich ein ganz normales Wohnviertel, in dem Polynesier ihrem Tagesgeschäft nachgehen und natürlich ist es nicht frei von Armut. Es ist kein auf Hochglanz poliertes Touristenviertel, wir finden es authentisch und mögen es so, und dazu gehören eben auch pittoreske Rostlauben wie diese.



Tatsächlich nehmen wir weniger Anstoß an dem vergammelten Kleinwagen, eher wächst er uns in den kommenden Tagen ein bißchen ans Herz und wir fragen uns, ob er wohl noch fahrtüchtig ist. Irgendjemand kümmert sich immer noch darum, genau wie um die Katze, die in oder unter ihm lebt.



Auf halber Strecke zum Hafen lädt der Parc Bougainville zum Ausruhen ein, ein kleiner Stadtpark mit vielen Sitzbänken und Spieltischen an denen Polynesier sitzen, dazwischen kleine Wasserbecken mit Seerosen,



überall die Hühner und mittendrin die Statue von Louis Antoine de Bougainville, dem Entdecker.



Hier bleiben wir eine ganze Weile sitzen. Seit der Ankunft ist das jetzt unser erster Ausflug ins polynesische Leben und es gibt viel zu Gucken.

Rechts von uns der ruhige Park,



links braust der Verkehr über den Boulevard der Königin Pomare IV, die durch die französischen Kolonisateure ihrer Ämter enthoben wurde. Französische SUVs mischen sich mit Geländewagen, aber das das Straßenbild beherrschende Fahrzeug ist der Roller:



Die Tahitianerinnen sehen aus näherer Betrachtung anders aus, als ich sie mir vorgestellt habe. Zumindest hier, wo wir gerade sitzen, sind wenig korpulente Menschen zu sehen, wie ich es beispielsweise aus Tonga gewöhnt bin, die meisten sind zartgliedrig und tatsächlich trägt so gut wie jede entweder eine Blütenkrone oder aber eine einzelne Frangipani- oder Hibiskusblüte hinter dem Ohr. Daß die Position der Blüte etwas über den Familienstand der Person aussagt, mag früher einmal gestimmt haben; später erzählt man uns, daß man das heutzutage nicht mehr daran ablesen kann, da die Frauen es als Teil der Selbstbestimmung betrachten, ob sie erkennbar machen möchten, „noch zu haben“ zu sein oder nicht.

Die meisten sind sportlich gekleidet, aber man sieht gelegentlich auch noch die „Robes Missions“. Die überweiten, knöchellangen Kleider mit der Tifaifai genannten Stickerei aus Blütenmustern und Rüschen an Ärmeln und Ausschnitt, die man inzwischen mit den Frauen in Ozeanien, vor allem auf den Cook Inseln verbindet, sind eigentlich keine traditionelle Kleidung der pazifischen Länder, sondern von den Missionaren mit dem Zweck eingeführt, die ursprünglich mit Naturmaterialien und Kokosnussschalen bekleideten Körper der sündigen Verführerinnen zu verbergen.



Auf der Hafenpromenade passieren wir zahlreiche Perlengeschäfte. Die Tahiti-Perle, meist im Unterschied zu Perlen aus anderen Ländern graugrün, blau oder schwarz, ist hier ein echter Wirtschaftsfaktor und die Schmuckstücke direkt hier an der Promenade sind extrem teuer.





Abgesehen von dem kurzen Luxussegment verströmt die Stadt den morbiden Charme des Verfalls.

Das Haus wird aber nicht etwa gerade von der Natur zurückerobert



das ist tatsächlich ein tropischer Balkongarten. Was ein deutscher Statiker wohl dazu sagen würde :LOL:



Noch hie und da Relikte aus den goldenen Zeiten, als der globale Jetset hier die Puppen tanzen ließ.



Daß wir uns dem Hafen nähern, merken wir an den zunehmenden Gruppen amerikanischer Marinesoldaten. Mit ihren Uniformhosen mit Bügelfalte und akkuraten Flat Tops sehen sie genau so aus, wie schon ihre Großväter ausgeschaut haben. Aber irgendwie hat das was Nostalgisches.

Unser Ziel ist die Place Vaiete. Die Pearl Harbor ragt gigantisch über uns auf.



Überragt wird sie nur von dem Kreuzfahrtschiff, von hier unten können wir lesen, daß es die Norwegian Spirit ist.





Daneben die Aranui V nimmt sich winzig klein aus. Die Aranui V ist das Postschiff, das die Inselgruppe der Tuamotus und die Marquesas mit der Hauptinsel Tahiti verbindet. Ähnlich wie bei der Hurtigruten in Norwegen gibt es hier auch Kabinen für Kreuzfahrer, die sehr beliebt sind.



Ansonsten ist der Platz verwaist, erst Abends erwacht er zum Leben. Mit Einbruch der Dunkelheit kommen die Roulottes, die mobilen Verkaufwagen mit Street Food, an denen sich Polynesier und Touristen mischen. Ganz sicher kommen wir an einem anderen Abend zurück, aber bis zum Einbruch der Nacht wollen wir heute nicht warten, wir gehen zurück zum Fare Suisse und sind danach dann auch einigermaßen geschafft.

Fahrradtransport à la La Digue. Eine Fahrradinsel ist das hier aber eigentlich nicht.



Das Wetter bessert sich nur langsam, es ist immer noch schwülheiß und regnerisch und die Luftfeuchtigkeit ist enorm. Gegen Abend kühlt es sich nur wenig ab. Eine größere Gruppe Franzosen ist eingetroffen, die Käsefondue essen. Nicht die gesamte Gesellschaft paßt unter das Dach und äugt permanent mißtrauisch in den Gewitterhimmel. Als wir aufgegessen haben, bieten wir an, unsere Biere an der Bar auszutrinken, damit die Fonduegesellschaft aufrücken kann. Die Gruppe distinguiert aussehender Herrschaften steckt daraufhin die Köpfe zusammen und ein Abgesandter erscheint an unserem Platz an der Bar. Einladen möchte man uns, was wir denn gern hätten. Wir lehnen erst höflich ab, er insistiert, wir geben dann auf und wählen Whisky, in dem ohnehin teuren Reiseland preislich quasi flüssiges Gold.

Er bleibt bei uns bis der Whisky vor uns steht, fragt uns kurz nach dem woher und wohin und ob wir denn irgendwelche Fragen zum Land hätten. Tatsächlich fällt mir eine ein und ich glaube, er ist genau der Richtige dafür. Ob man sich denn wirklich hier im Land immer und überall und in jeder Lebenslage duze, wie es die Reiseführer behaupten. Die Antwort ist, wie ich erwartet habe: Das gilt für Polynesier. Er selbst ist Ministerialangestellter, wie er uns erzählt, und unter den in der Verwaltung beschäftigten Franzosen sei das im beruflichen Kontext nicht üblich. Genau das habe ich erwartet. Es macht die komplexe Struktur, die das Pays d’Outre Mer-Konstrukt hat, nicht einfacher, finde ich. Die Polynesier, so lernen wir später noch, betrachten es geradezu als Affront, gesiezt zu werden, während ältere Franzosen, mit denen wir noch zu tun bekommen, konsequent siezen. Da immer den richtigen Ton zu treffen, kann nicht ganz einfach sein.

Alles in allem ein lehrreicher Abend. Wir sitzen noch ein bißchen vor Fatu Hiva und schauen über die nächtliche Stadt.



Daß wir den Sonnenuntergang inzwischen sehen können, läßt für morgen hoffen. Obwohl es da eigentlich egal wäre, denn es geht hinauf ins Tal von Papeno’o und in den Nebelwald.
 
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marie-65

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Wow, super interessant geschrieben!
Schön,dass ihr auch das Negative so ehrlich ansprecht.
Nun warte ich auch schon gespannt, wie es weitergeht!
 
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Suse65

Suse65

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Vielen Dank! :)

Ich finde, ich sollte eher noch mal bißchen üben, oben im Beitrag im letzten Satz fehlt das Wort Sonnenuntergang. Naja, hat man sich vielleicht selbst zusammenreimen können, was es heißen sollte. :lacry:
 
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Suse65

Suse65

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Am nächsten Morgen packen wir die Rucksäcke, auch Badesachen und Handtücher. Wir machen die Inseldurchquerung und auf unserer Tour heute soll es Gelegenheit zum Baden unter einem Wasserfall geben.


Außerdem eine kleine Wanderung zu einem Bergsee, wunderschön soll das sein und auch anspruchslos, das haben mir die Franzosen gestern erzählt, die die Tour schon gemacht haben. Meine Urängste, ich könnte bei irgendwelchen komplizierten Kraxeleien über rutschiges Geröll die Gruppe aufhalten oder mich womöglich auf irgendeinem Felsen mit Absturzgefahr gar nicht mehr weitertrauen, wurden somit ausgeräumt, und ich freue mich. Auch wenn wir natürlich schon ahnen, daß wir bei einer Gruppentour nicht die Möglichkeit haben, die Gegend so zu erkunden, wie wir uns das eigentlich vorstellen. Es wird nur kurze Fotostops geben, dafür aber hoffentlich viele Erklärungen zu Fauna und Flora. Und wenn es uns so gut gefällt, wie wir erwarten, kommen wir eben irgendwann in der Zukunft nochmal zu einer individuelleren Tour zurück und fangen dann nicht bei Null an.

Die Taldurchquerung könnte man auch als Wanderung machen, wobei die Tour selbst größtenteils auf angelegten Wirtschaftswegen zurückgelegt wird und eher aufgrund der zu überwindenden Höhenmeter hohe Anforderungen stellt, nämlich an die Fitness. Außerdem besteht durchaus die Möglichkeit, das Tal als Selbstfahrer zu durchqueren, aber das ist eine Sache, die man sich vielleicht erstmal angucken sollte. Wir sind heute mit einem allradgetriebenen Pickup unterwegs, der uns am Hotel abholen soll.

Dabei haben wir dann direkt einen schlechten Start, denn in den letzten zwei Tagen haben wir wiederholt beobachtet, wie Gäste auf der Frühstücksterrasse von ihren Guides zu den organisierten Touren abgeholt wurden, also warten wir auch hier. Daß der Treffpunkt unterhalb des Fare Suisse an der Straße ist, hat uns niemand gesagt, so daß der Guide irgendwann verärgert nach uns suchen kommt und uns direkt anpampt, ob wir denn nicht die Tour machen wollten, und weshalb wir denn dann nicht kämen.

Auf den Bänken auf der Ladefläche ist Platz für ungefähr 10 Personen, wir werden aber nur zu acht sein, so ist es ganz bequem. Ein französisches Paar auf Hochzeitsreise sitzt bereits da, beide noch ganz jung. Dazu kommen noch zwei Ehepaare aus New York, alle vier machen die Tour, um die Zeit vor der Abreise der Norwegian Spirit totzuschlagen.

Unser Fahrer ist ein wortkarger Typ, wir denken zuerst, er sei noch verärgert, weil wir aufgrund des Mißverständnisses bei der Abholung nun Zeitverzug haben, aber das waren sowieso nur wenige Minuten und die holt er mit seinem Fahrstil locker wieder raus.

Um nach Papeno‘o zu kommen, müssen wir das Stadtzentrum durchqueren. Um uns herum kurven waghalsig die Roller, und ich habe noch nicht ganz zuende gedacht, daß es hier bestimmt oft Unfälle gibt, da passiert es auch schon. Hinter uns fährt ein großer Geländewagen auf eine Rollerfahrerin auf, eine ältere Polynesierin in einer Robe Mission sitzt darauf, sie kippt um und liegt offenbar benommen da und rührt sich nicht, ihre Blumenkrone ist ihr vom Kopf gefallen und liegt vor ihr auf der Straße. Wir sind auf unseren Sitzen auf der Ladefläche quasi live dabei. Ich entschließe mich, bis wir oben in den Bergen sind, doch mal lieber den Sicherheitsgurt anzulegen.

Das Tal von Papeno’o ist das höchstgelegene Tahitis und eigentlich ein Vulkankrater, der von bis zu 2000 Meter hohen Berggipfeln gesäumt wird. Abhängig von der Regenmenge gibt es unzählige Wasserfälle und weiter oben im Tal erreicht man den unteren Rand des Nebelwaldes, in dem die Vegetation eigentlich permanent im Dunst der Wolken hängt.



Bis zum Beginn der Straße, die Tahiti einmal von Nord nach Süd durchquert, war die Fahrt zwar zügig, aber angenehm. Als wir in das Tal selbst einbiegen, wird es direkt unlustiger, denn nachdem wir die letzte Siedlung hinter uns gelassen haben, ist der Weg nicht mehr asphaltiert. Schlaglöcher heißen auf Französisch Nid de Poule, Hühnernester, aber der putzige Ausdruck ändert nichts daran, daß es alles andere als angenehm ist, wenn sich eins ans andere reiht. Wir sind noch nicht lange gefahren, als mir der Ehemann schon zuraunt: Merkste? Stoßdämpfer sind kaputt.

Ja, das ist mir durchaus schon aufgefallen. Hoffentlich ist der Rest wenigstens in Ordnung. Bremsen zum Beispiel. Ich mache mal sicherheitshalber den Gurt wieder ab.

Nach einer Weile halten wir am Straßenrand und es gibt eine kurze Einführung in den Tagesablauf. Nun stellt sich auch heraus, daß die Maulfaulheit unseres Guides nichts mit uns zu tun hat. Er hat, wie er uns sagt, ja nun festgestellt, daß seine Gruppe überwiegend aus Amerikanern besteht und er könne ja eigentlich kaum Englisch, da hätten wir ja leider Pech mit ihm heute. Den Amerikanern geht das offenbar am schlaglochgeplagten Allerwertesten vorbei, sie winken nur ab.



Das genügt ihm offenbar, um seinen Stimmbändern mal generell einen Tag Pause zu gönnen, denn auch Erklärungen auf Französisch gibt es nur auf gezielte Nachfrage. Also keine kleinen Geschichten und Legenden aus dem Bergtal, wie es andere Leute auf Tripadvisor oder in ihren Videotagebüchern beschrieben haben, kein Pflücken von Früchten oder Erläuterungen über Nutzpflanzen und ihre Verwendung. Das eigentliche Problem aber wird, daß die Fotostops ohne eigentlich vorgesehene Vorträge über Flora, Fauna und die Sagen der Polynesier noch kürzer werden, als ohnehin schon.

Die Landschaft ist auch hier, im unteren Bereich des Tals, üppig grün. Wir halten mehrmals an Wasserfällen. Ob sie Namen haben, erfahren wir nicht, aber die meisten der kleineren werden ohnehin keine haben, sondern aufgrund der Regenfälle spontan entstanden sein und danach wieder versiegen.

Als wir uns langsam in höhere Lagen arbeiten, tauchen am Wegesrand und an den Hängen die ersten großen Farne auf, mit Wedeln von bis zu vier Metern Länge. Das ist Angiopteris evecta, gigantische Gewächse, die aber keinen Stamm bilden. Beim nächsten Stop belagere ich den Guide mit Fragen und die beantwortet er auch bereitwillig.



Der Nahe, wie dieser Farn auf Polynesisch heißt, war früher, wie in vielen Ländern Ozeaniens auch, ein Grundnahrungsmittel. Die frischen Austriebe sind gekocht eßbar. Das ist nicht unüblich, auch in Kanada und Japan werden „Fiddleheads“, die noch nicht ganz entrollten Farnwedel anderer Farnarten, die im Frühjahr an die Schnecken in den Geigenköpfen erinnern, gegessen. Roh enthalten sie Karzinogene, die zu Speiseröhrenkrebs führen. Ob das hier auch bekannt sei, kann er mir nicht beantworten, aber gegessen wurden sie, vor allem von Jägern, bei längeren Aufenthalten in den Bergregionen. Eine Heilpflanze ist er außerdem. Da er keinen Stamm bildet, hat er unterirdisch ein großes Rhizom, dessen Wurzeln entzündungshemmende Wirkung haben und aus denen Breiumschläge für Verletzungen zubereitet wurden.

Ich mag den Nahe vor allem wegen seiner urwüchsigen Schönheit, die Wedel sind so breit und dicht, daß einige dahinter liegende Mini-Wasserfälle komplett verdecken. Wenn man sie beiseite schiebt, tut sich dahinter eine kleine Märchenwelt auf. Nur leider haben wir hier heute keine Zeit zum Verweilen. Die Amerikaner gähnen schon ein bißchen herum und lassen durchblicken, daß sie der vielen Kaskaden nun langsam überdrüssig werden und man nicht bei jedem anhalten müsse.



Was die Fauna des Tals anbetrifft, hat unser Guide insofern Glück, als es da nicht viel zu erklären gibt, denn wie fast alle Inseln Ozeaniens ist Tahiti artenarm. Die abgelegenen Inseln haben nur wenig Landfauna, die Vielfalt gibt es hier vor allem im Wasser. Sperbertäubchen mit ihrem vertrauten Gurren sind zahlreich und am Himmel sehen wir gelegentlich einen Tropikvogel, ansonsten ist er leer und an den Ufern gibt es hier auch keine Reiher, Schildkröten oder gar Alligatoren. Das hat natürlich schwimmtechnisch seine Vorteile, aber verglichen hiermit ist Florida quasi die Serengeti.

Ausgerechnet der eigentlich für das Baden vorgesehene Wasserfall ist aufgrund der zu reichlichen Regenfälle nicht zugänglich, nicht mal mit dem Allradfahrzeug, die Wege sind überschwemmt. Alternativ bietet man uns ein Bad in der Rivière Papeno’o an, dem Fluß, der das Tal durchquert. Die Bezeichnung Rivière weist schon darauf hin, daß dieser Fluß nicht ins Meer fließt, sondern hier im Tal in zahlreichen Seen endet.



Hier sind auch schon andere Gruppen vor uns angekommen, die vermutlich ebenfalls ihre eigentlich geplanten Wasserfälle nicht erreichen konnten. Der Fluß selbst ist nicht ideal zum Schwimmen, höchstens die Füße kann man reinhalten. Das tun wir auch, ansonsten nutzen wir den nun endlich mal etwas längeren Stop, uns mal in Ruhe die Vegetation anzuschauen. Man merkt, daß wir schon ein paar Höhenmeter gemacht haben, die Bäume sind dick bemoost, langsam fängt es an, so auszuschauen, wie ich es mir vorgestellt habe.



Weiter geht es hinauf in die Berge und ziemlich in der Mitte des Tals liegt das Relais de Maroto. Früher einmal ein Hotel, gibt es hier heute nur noch wenige Zimmer für Wanderer, ansonsten ist die Anlage verlassen, wird aber halbwegs instand gehalten. Das Personal, das für die vorbeikommenden Jeep-Safaris Mittagessen anbietet, kommt jeden Tag aus Papeete heraufgefahren. Aber das weiß ich auch nur, weil unser Guide dem französischen Paar ein paar Sätze der Erklärung gönnt.



Die beiden Franzosen sprechen auch Englisch, daher kann sich die Gruppe beim Essen ein bißchen unterhalten. Abgesehen davon, daß die Amerikaner einen etwas desinteressierten Eindruck an der Tour machen, sind sie nett und freuen sich, als wir erzählen, daß wir dieses Jahr noch nach New York reisen werden, wo sie herstammen.

Das Essen war lecker, für Tahiti-Verhältnisse auch nicht überteuert, und es ging zügig, so daß wir danach noch Zeit haben zum Fotografieren, bevor es weitergeht. Unterhalb des Relais liegt ein kleines Dorf, eines der wenigen hier in der Gegend, das nicht verlassen wurde, die Menschen hier betreiben Gemüseanbau.



Die uns umgebenden Berge liegen größtenteils bereits im Wolkenschatten, ab und zu dringt die Sonne noch durch und verteilt Streiflichter



Wir überlegen bereits, ob das hier etwas für uns wäre, ein paar Tage im Relais de Maroto und von hier aus Wanderungen unternehmen. Nur der Gedanke, daß man nachts dann hier sehr wahrscheinlich ganz allein ist, schreckt mich ein bißchen ab. Es ist doch sehr einsam hier und beim Anblick der verlassenen Hotelanlage neben dem Restaurant kommen Gedanken an das Overlook aus Shining auf.

Viele der Papeno’o-Touren enden hier und die Fahrt geht die selbe Strecke zurück nach Papeete. Wir jedoch machen die gesamte Inseldurchquerung und fahren weiter gen Süden. Bevor wir wieder zur Küste hinunter abwärts fahren, geht es noch eine ganze Weile bergauf bis der höchste Punkt der Talstraße erreicht ist, und jetzt wird es erst richtig spannend. Die Straße ist nur noch einspurig und windet sich in Serpentinen, wir müssen einige kleine Wasserläufe durchqueren, mehrmals gibt es starkes Gefälle und einmal braucht es mehrere Anläufe, bis wir eine Steigung schaffen. Inzwischen ist auch das Verdeck des Jeeps geschlossen worden, aber gottseidank hat er die Seitenteile offengelassen, denn jetzt erreichen wir die Ausläufer des Nebelwaldes.

Die aufgrund der Höhenlagen meist nur noch klein und krumm ausgebildeten Bäume sind von dicken Mooskugeln überzogen auf denen epiphytische Farne und andere Aufsitzerpflanzen leben, die Feuchtigkeit überzieht alles, auch Kameraobjektive und meine Brille, aber das ist egal, es ist herrlich.

Ich liebe diese Vegetationsformen, urwüchsige Wälder wie diese. Hier jetzt einfach aussteigen und wandern gehen zu können, ein Traum. Auf der schmalen Straße können wir aber nicht einmal anhalten, denn weiter unter uns können wir schon die nachfolgenden Jeeps anderer Anbieter erkennen, die nicht an uns vorbei könnten. Auch die Fotos werden aufgrund der Umstände nicht gut, es ruckelt und die Linsen beschlagen, aber egal.

Echte Nebelwälder, wie die Puristen unter den Biologen vermutlich sagen würden, liegen eigentlich erst in mehreren tausend Metern Höhe wie zum Beispiel in den Anden oder den Gebirgszügen Asiens und nicht viele davon sind ohne schwierige und teils gefährliche Wanderungen erreichbar. Das sind Gebiete, die ich niemals erreichen werde, so begnüge ich mich mit den Rändern und freue mich immer wieder, wenn ich irgendwo auf der Welt Gelegenheit habe, so einen Wald erleben zu dürfen.




Der Ehemann und ich staunen die Umgebung an, immerhin geht es nur langsam vorwärts, rechts neben uns ragt der Berghang auf, links geht es steil abwärts ins Tal. Es ist schon ein bißchen nervenkitzelig, aber eins muß man unserem Guide lassen, den Wagen fährt er souverän und tiefenentspannt. Das ist eben die Kehrseite der Medaille wenn man einen älteren Guide hat. Er hat zwar keine Englischkenntnisse, dafür aber die fahrerische Routine.

Der Ehemann sagt später, er würde sich die Tour auch als Selbstfahrer zutrauen und da ich kaum einen besseren Autofahrer kenne als ihn, denke ich das auch. Ich selbst würde mir das nicht zutrauen, vor aus dem Grund, daß sich auf den einspurigen Straßen immer die Situation ergeben könnte, daß man rückwärts fahren muß, am besten noch um eine Kurve, weil es mit Berghang auf der einen Seite und Abgrund auf der anderen keinen Platz zum Ausweichen oder Wenden gibt. In solchen Situationen habe ich schon gesteckt und war einem Nervenzusammenbruch nahe.

Wir werden im Verlauf der Reise noch Leute treffen, die uns erzählen, die Fahrt selbst gemacht zu haben, sind uns aber nicht sicher, ob sie wirklich die gesamte Durchquerung gemacht haben, oder auch ab dem Relais wieder umgekehrt sind, was aufgrund der Straßenverhältnisse tatsächlich sehr viel einfacher ist. Für die gesamte Inseldurchquerung braucht man schon Nerven und es ist, abhängig vom Wetter, tatsächlich auch nicht ganz ungefährlich. Einige Monate nach unserer Reise wird der Geländewagen einer ganzen Familie, die als Selbstfahrer hier unterwegs waren, bei der Durchquerung einer der Furten vom Wasser mitgerissen und konnte nur tot geborgen werden.

Langsam schrauben wir uns wieder abwärts und erreichen den Tunnel, der das Tal von Papeno’o und das Tal von Vaihiria voneinander trennt. Wir haben Glück, daß wir ihn überhaupt durchfahren können, in der Vergangenheit kam es gelegentlich vor, daß ein paar die Unabhängigkeit anstrebende Polynesier ihn blockierten. Da die vorchristliche Kultur der Polynesier vor allem animistisch ist, sind viele Dinge in der Natur hier beseelt und die Nutzung des Tals zur Stromerzeugung per Wasserkraft und das Eindringen der ja zumeist französischen Arbeiter und Ingenieure wird als Verletzung der spirituellen Überzeugungen betrachtet.

Manche Guides lassen ihre Gäste hier aussteigen und den Tunnel zu Fuß durchqueren. Die Wände sind dicht an dicht mit epiphytischen Farnen bewachsen, das hätte ich auch gern gemacht, wir fahren aber nur durch.

Etwas tiefer dann der Lac Vaihiria. Der See liegt in einer kleinen Talsenke und der kurze Spaziergang dahin ist wirklich lächerlich einfach, auch für einen Körperklaus mit schlechtem Gleichgewichtssinn und Höhenangst wie mich. Die Düsternis und die vielen Wasserfälle, die den See umgeben, haben etwas Unwirkliches. Auffällig ist für uns, die wir ja gerade aus Florida kommen, aber erneut die Stille und die Leere. Keine Tiere irgendwo, aber das ist hier so. Das einzige Geräusch ist das tröpfelnde Wasser überall.



Danach geht es zurück in die Zivilisation. Wir überqueren noch eine Furt durch einen kleinen Fluß, dann tauchen die ersten Grundstücke auf und die Straße wird auch wieder besser und wir weniger durchgeschüttelt. Hier wird viel Ingwer angebaut, die Wedel sind noch größer als die des Nahe und bilden fast ein geschlossenes Dach über der Straße.

Unser Guide setzt nach und nach die anderen an ihren Hotels und Gästehäusern ab, wir sind die letzten, die zum Fare Suisse gebracht werden und können uns auf den nun leeren Sitzbänken ausbreiten. Eine Wohltat für die Kehrseite, nun wieder auf normalen Straßen zu fahren. Hier unten an der Küste scheint auch wieder die Sonne und es ist angenehm warm. Insgesamt doch ein schöner Tag, der unsere Erwartungen an die geführte Tour zwar nicht erfüllt hat, die Natur hat uns dafür aber ganz und gar nicht enttäuscht.
 

Sabine B.

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Nebelwald… (allein das Wort ist mystisch )
- und wo bzw ab welcher Höhe er zu finden ist 😊 Jetzt weiss ich auch das 😊.
 
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