Die ersten Tage auf Raivavae ist das Wetter durchwachsen. Ihr hĂ€ttet frĂŒher kommen sollen, hören wir nicht nur einmal. Wir wollten den Aufenthalt auf unserem Motu eben gern als Höhepunkt der Reise ans Ende setzen, aber meteorologisch war das die falsche Entscheidung, denn jetzt herrscht hier Winter, pĂŒnktlich am 21. Juni beginnt er. Was die DĂ€mmerungszeiten anbetrifft macht es keinen Unterschied, dazu sind wir noch immer noch zu nah am Ăquator, es wird gegen 18 Uhr dunkel.
Im Schatten des Höhenzuges, der Raivavae in zwei HĂ€lften teilt, wird es auch recht schnell frisch, weshalb wir uns gern in Begleitung der Hunde vorn am Wasser aufhalten. Auf der RingstraĂe, die um die Insel fĂŒhrt, ist wenig los. Gelegentlich kommen Einheimische vorbei, die TĂŒten mit KokosnĂŒssen oder anderem Obst und GemĂŒse tragen. Selten ein Auto, darunter ein alter Golf. Ansonsten die allseits beliebten ElektrofahrrĂ€der. Alle Locals, die an unserer Pension vorbeikommen schwenken die Shaka - Hand đ€ und grĂŒĂen. Alle sind sehr freundlich, aber sprechen tun wir mit wenigen, wir werden rundum versorgt von Odile.
Odile teilt gern ihr Wissen mit uns. Die Sprache der Austral-Inseln ist, anders als die der Gesellschaftsinseln, auch ein biĂchen hĂ€rter und rauher. Nicht so wie das Marquesianisch, mehr so im Detail. Die Grammatik ist die selbe wie auf Tahiti, nur anstelle des gerollten "R", das ja auch das Französisch der Polynesier einfĂ€rbt, spricht man hier einen harten VerschluĂlaut, ein "G". Somit heiĂt die Insel genau genommen auch Gaivavae und die BegrĂŒĂung, wenn wir den vorbeiradelnden Gaivavaianern antworten wollen, nicht Ia Orana, sondern Ia Ogana.
Im Speisesaal gibt es eine Auswahl an BĂŒchern, darunter viele SchulbĂŒcher, vermutlich aus ihrer aktiven Zeit als Lehrerin. Einige davon nehme ich mit ins Zimmer als BettlektĂŒre. Da lese ich dann auch noch mal die Geschichte unseres ersten Tiki auf Tahiti, der sich vor knapp 100 Jahren fĂŒr die Umsiedlung gerĂ€cht hat. Die dreiköpfige Tiki-Familie stammt von hier und da sich die Bewohner der Insel weigerten, beim Abtransport der Figuren zu helfen, fiel das Kind vom Boot in den Ozean. Wer wĂ€re da nicht zornig?
NatĂŒrlich warten wir nicht nur auf die Weiterfahrt aufs Motu, sondern möchten auch Gaivavae selbst kennenlernen. Auch dafĂŒr ist Odile genau die richtige Ansprechpartnerin. Sie fĂ€hrt uns im Toyota zu allem, was an der Insel sehenswert ist, und tatsĂ€chlich hat die ein paar Besonderheiten.
Am KĂŒstenstreifen vereinzelte Auslegerkanus, gelegentlich ein angepflocktes Pferd. AuffĂ€llig ist, daĂ die Ufer alle befestigt sind und Odile erzĂ€hlt uns, daĂ ihr Mann regelmĂ€Ăig Felsbrocken aus der Bergwand hinter der Pension holt, um weiter aufzuschĂŒtten. Der steigende Meeresspiegel mache allen zu schaffen, wĂ€hrend der feuchten Jahreszeit, im hiesigen Sommer, sei die StraĂe regelmĂ€Ăig ĂŒberspĂŒlt, und das, obwohl wir hier auf der trockeneren, regenabgewandten Seite sind.
Wenige Kilometer weiter dann die erste SehenswĂŒrdigkeit, eigentlich sind es zwei, die zusammengehören. Zwei Felsen, einer direkt am Ufer, ein weiterer, eigentlich eine kegelförmige Insel, etwas weiter drauĂen in der Bucht, das sind Ruatara und Hotuatua, der Felsen des Mannes und der Felsen der Frau.
Die Legende besagt, daĂ die Frauen eines Dorfes die MĂ€nner eines anderen Dorfes zu einem nĂ€chtlichen Wettkampf herausforderten, wer einen Felsen weiter hinaus in die Lagune tragen könne bevor der Hahn krĂ€ht. Der Mann, der sich der Frau weit ĂŒberlegen fĂŒhlte, trug seinen Felsen bis an den Strand und legte sich dort siegessicher schlafen, nicht ahnend, daĂ die Frau ihm dicht auf den Fersen war und und ihren Felsen bis zum ersten Hahnenschrei hinaus ins Meer tragen wĂŒrde. Als genau das geschehen war und die Frau ihren Konkurrenten schlafend am Strand vorfand, versteckte sie sich im GebĂŒsch und ahmte den Hahnenschrei nach, so daĂ der Mann glaubte, der Wettkampf sei verloren. So liegt der Felsen des Mannes, Ruatara, bis heute am Strand.
Die Moral der Fabel dĂŒrfte selbsterklĂ€rend sein. đ
Auf der anderen Inselseite ist die Vegetation wesentlich ĂŒppiger und tropischer. Das ist die Nordseite, und wie auf der SĂŒdhalbkugel eben alles umgedreht ist, ist das hier die Seite, auf der das Klima gĂŒnstiger ist. Im australischen Sommer, wenn die Winde aus Nordost kommen, hĂ€lt der höchste Berg Raivavaes, der Mont Hiro, den Regen auf, und so wirkt diese Inselseite wie ein riesiger GemĂŒsegarten. Hier wachsen ĂŒppige Angiopteris evecta, die Nahe, die wir schon aus Tahiti kennen.
Von der RingstraĂe zweigt eine einzige QuerstraĂe ins Inselinnere ab, die TraversiĂšre. An ihrem FuĂ ein Warnschild. Kein Autoverkehr erlaubt, auch Fahrradfahren nicht. Das liegt an dem unglaublichen GefĂ€lle, es sei zu viel passiert, Bremsen die versagen, Radfahrer die die Geschwindigkeit unterschĂ€tzen, die sie erreichen. Aber zu FuĂ ist die Inseldurchquerung erlaubt und Odile rĂ€t uns auch dazu, von unserer Inselseite aus erreiche man auf diesem Weg im Wald eines der schönsten Marae ganz Französisch Polynesiens.
Da sich die Wanderung auf den Mont Hiro, mit der wir anfangs geliebĂ€ugelt haben, nach allem, was ich ĂŒber den Schwierigkeitsgrad der Wanderung inzwischen gelesen haben, wohl ohnehin nicht verwirklichen wird, zumindest nicht fĂŒr mich, finde ich die TraversiĂšre nun umso interessanter. Vom höchsten Punkt aus habe man schon einen schönen Blick ĂŒber die Lagune, sagt Odile, sie möge die TraversiĂšre sehr und ginge sie selbst öfter.
Auf eigene Faust nie gefunden hÀtten wir wohl die Attraktion Raivavaes, die lÀchelnde Prinzessin.
Der kleine Tiki steht im Wald hinter einem verlassenen Haus, es sieht von der StraĂe nach PrivatgrundstĂŒck aus, ist aber nur noch von HĂŒhnern bewohnt, aber allein hĂ€tten wir uns wohl nicht getraut, das einfach zu betreten. Hinweisschilder fehlen völlig, und auch sonst wirkt die kleine Prinzessin etwas vernachlĂ€ssigt. Sie ist vollstĂ€ndig von Flechten ĂŒberwuchert, und dabei ist sie so niedlich. Sie hat ein freundliches LĂ€cheln und irgendwie weckt sie sofort meinen BeschĂŒtzerinstinkt. Irgendwie machen sie das auf Hiva Oa besser, da werden sogar die bösen Tiki mit einem HĂ€uschen versehen. So etwas wĂŒrde ich der Prinzessin auch wĂŒnschen. Sie wirkt so verlassen und schutzlos, wie sie hier ganz allein im Wald steht. Aber vermutlich mache ich mir da unnötig Gedanken. So ein Tiki sollte ein starkes Mana haben und kann sich sicher selbst um sein Schicksal kĂŒmmern.
Der Rest der Inselrundfahrt zeigt uns ein biĂchen Zivilisation, den Hafen und den einzigen Geldautomaten. Da die Pensionen nur Bargeld nehmen, ist es ratsam, gleich von Anfang an genĂŒgend dabei zu haben. In unserem Zimmer hĂ€ngt ein dezenter kleiner Hinweis, daĂ Transferfahrten zum ATM kostenpflichtig sind.
Ein Besuch in einem kleinen Souvenirshop rundet die Tour ab. Ich kaufe zwei kleine geflochtene ArmbĂ€nder mit Muscheln, als Mitbringsel. Ansonsten haben wir genĂŒgend Leis aus Muscheln und Pflanzensamen und NĂŒssen, die wir auf den jeweiligen Inseln zum Abschied bekommen haben, und dazu zwei wunderschöne Perlen aus Rangiroa. Wir sind gut versorgt, der Kauf ist eher, um den KĂŒnstlern ein biĂchen was zukommen zu lassen, aber davon abgesehen, sind die Sachen auch wirklich hĂŒbsch.
In den nÀchsten Tagen leihen wir uns FahrrÀder, die in erstaunlich gepflegtem Zustand sind, besser als alles, was wir in der ungleich teureren Vanira Lodge oder im Maitai bekommen haben. Das ist Odiles Mann, der sowas alles in Schuà hÀlt.
Wir fahren einen Teil der Inselrundfahrt nochmals mit dem Rad ab. Die RĂ€der sind auch hier gangschaltungslose Beach Cruiser, fahren sich aber sehr leicht. Wir halten immer wieder an und fotografieren die Felsen und versuchen "unser" Motu drauĂen im Riff auszumachen. Langsam wird es ernst.
Im Gegensatz zu unserer Insel in Tonga soll unser zukĂŒnftiges Motu relativ komfortabel ausgestattet sein. WĂ€hrend ich dort auf offenem Feuer kochen muĂte, gibt es hier einen Gasherd. Wir werden einen Pflock zum Ăffnen der KokosnĂŒsse und eine Raspel haben, aber keinen KĂŒhlschrank.
Nach allem, was ich an LebensmittelgeschĂ€ften auf der Insel bislang gesehen habe, habe ich wenig Hoffnung, daĂ wir besonders abwechslungsreich essen werden, wenn wir erstmal auf dem Motu sind. Hier wird wenig GemĂŒse im Laden gehandelt, das bauen die Leute alle selbst im Garten an. Es wird auf Nudeln mit Ketchup und Nudeln mit Bolognesesauce hinauslaufen, fĂŒrchte ich.
Und so kommt es dann auch. Unter groĂer Anteilnahme der vor dem Laden herumstehenden Einheimischen gehen wir mit Odile einkaufen.
Die Ladenbetreiberin ist eine ehemalige Lehrerkollegin von Odile und sehr hilfsbereit, aber sie kann auch nichts daran Ă€ndern, daĂ das Versorgungsboot lange nicht dort war und alles, was auch wir gern essen wĂŒrden, von der Inselbevölkerung lĂ€ngst aufgekauft wurde. Kein ScheiblettenkĂ€se, der ohne KĂŒhlung haltbar ist. Wenig GemĂŒse. Ich kaufe tonnenweise Zwiebeln, damit kann man immer etwas Geschmack ins Essen bringen. Mehl lasse ich gleich weg, ich wĂŒĂte nichts damit anzufangen, wenn ich keine Eier habe, mit denen ich einen Teig anrĂŒhren könnte. DafĂŒr jede Menge Reis, als Alternative zu den Nudeln, und zwei groĂe Flaschen Sweet Chili-SoĂe. Die geht immer.
Beim nĂ€chsten Mal sind wir schlauer, da kaufen wir alles, was haltbar ist, vorher im Champignon in Papeete ein. Unsere Ausbeute ist tatsĂ€chlich mager. Die Hauptsache ist aber das Wasser. Wie eigentlich alle Motus hat auch unseres keine SĂŒĂwasserquelle, also mĂŒssen wir literweise Trinkwasser mitnehmen, und hier zahlt sich unsere Erfahrung aus. Wir wissen ziemlich genau einzuschĂ€tzen, wieviel wir brauchen und am Ende haben wir einen Sicherheitsrest von mindestens fĂŒnf Litern ĂŒbrig, obwohl hier in der geschĂŒtzten Lagune kaum die Gefahr besteht, daĂ wir nicht pĂŒnktlich abgeholt werden könnten.
Eigentlich ist der Plan ja auch, daĂ die GĂ€ste sich ihren Speiseplan durch Fischen aufpeppen sollen. Da das bei uns ja wegfĂ€llt, bleibt uns als Alternative das Ernten von BĂ©nitiers, Mördermuscheln. Das haben wir noch nicht gemacht und Odile, deren Abendessen auch sonst immer sehr abwechslungsreich sind, serviert uns daraufhin ein Ragout aus BĂ©nitiers. Ich finde es schon lecker, aber das liegt vor allem an der BĂ©chamel-Sauce mit der sie ĂŒberbacken sind. Der Ehemann ist vollkommen vom Hocker gehauen, mal sehen, wie viele Mördermuscheln wir in der kommenden Woche so essen werden.
Odile zeigt sich sehr interessiert daran, daĂ wir so etwas schon gemacht haben. AuĂer uns ist nur ein einziges Mal eine Gruppe Besucher aus Kanada lĂ€nger als eine Woche drauĂen geblieben, die meisten GĂ€ste machen nur eine Nacht und dann genĂŒgt es ihnen auch schon. Alle zwei Tage wolle sie nach uns gucken kommen, aber das muĂ fĂŒr sie umstĂ€ndlich sein ohne Ende und so nett Odile und ihr Mann auch sind, legen auch wir wenig Wert darauf, daĂ sie alle zwei Tage zu uns herausgefahren kommen. Als ich ihr erzĂ€hle, daĂ wir in Tonga ein Notfallhandy von der Pension bekommen haben, sieht man förmlich eine kleine Osram-GlĂŒhbirne ĂŒber ihrem Kopf aufleuchten. đĄWelcher ihrer Familienangehörigen dann zwei Tage spĂ€ter fĂŒr uns sein Smartphone herausrĂŒcken muĂte, wissen wir bis heute nicht. đ