Motus, Muscheln, Menschenfresser - Zwei Monate in Französisch Polynesien im Sommer 2022

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Einmal an Bord quetschen wir uns nebeneinander auf die Bänke. Es ist bereits in Paar an Bord, die auch in der Hanakee Lodge wohnen, gesehen haben wir sie bislang noch nicht, sie sind wohl gerade erst von Nuku Hiva herübergekommen. Es ist ein deutsch-französisch gemischtes Paar und er trägt den Arm in der Schlinge, verunfallt auf einer Wanderung auf Nuku Hiva. Mit den restlichen Franzosen wird es eng, aber so hat man wenigstens guten Halt, denn der Seegang ist nicht zu unterschätzen.



Zwischen Hiva Oa und Tahuata liegen ungefähr 4 km, eine Meerenge, die Kanal von Bordelais genannt wird, warum auch immer. Bekannt ist sie für ihre ungeheuren Strömungen. Und auch sonst erinnert hier vieles an den rauhen Norden.



Als wir uns Tahuata nähern, meint man, irgendwo an der Küste Irlands zu sein, die Hochebenen sind baumlose Graswiesen, eigentlich fehlen nur noch die Schafe. Ich wünsche mir ja insgeheim, daß ein wildes Pferd auf einer Klippe auftauchen möge, am besten eine ganze Herde, das wäre mein Traum-Fotomotiv, aber das passiert nicht. Die Männer, also der französische Familienvater, der genauso fotoverrückt ist wie der Ehemann, und letzterer dürfen mit Erlaubnis des Skippers aufs Kajütendach klettern, um von dort aus zu fotografieren und zu filmen.





Als wir dann die Westküste der Insel entlangfahren, verschwindet aber jeder Eindruck von nördlichen Inselwelten, die kleinen Buchten mit ihren einsamen, palmengesäumten Stränden sind das tropische Postkartenidyll par excellence.



Hierher führen keine Straßen, hier treffen sich die Weltumsegler. Die rechte Hand unseres Skippers, der bei uns unten an Deck geblieben ist, erklärt uns, die kämen alle auf ihrer Route von Galapagos hier vorbei.

Wir laufen als erstes die Hauptstadt von Tahuata an, wenn man das so nennen will, einen winzigen Ort namens Vaitahu am Fuß der gewaltigen Berghänge, der aber mit einer imposanten katholischen Kirche aus Feldsteinen aufwarten kann, die für ihre Glasmalerei berühmt ist.



Wir bekommen eine kleine Führung durch den Ort. 1842 wurden die Marquesas für Frankreich annektiert und der Vertrag wurde hier, in Vaitahu unterzeichnet.







Drum herum gruppiert sich die Schule und ein paar Verwaltungsgebäude, dahinter ein kleines Café "Chez Jimmy", das mit freiem W-LAN wirbt, vermutlich war das oft das erste, wonach Besucher hier gefragt haben.



Jimmy verkauft auch Getränke und unsere vier Begleiter, die sich uns namentlich nicht vorstellen, treiben sich eine Weile im Laden herum und kaufen jede Menge Softdrinks. Ich frage, ob wir uns auch etwas kaufen sollen, oder ob wir während des Tages auch mit Getränken versorgt werden, und bekomme zur Antwort, das sei nicht nötig, man habe genügend für uns.



Wir besichtigen die Kirche, die tatsächlich beeindruckend ist, so ein Gebäude würde man hier gar nicht erwarten. Die Fenster zeigen die Jungfrau Maria, der die Kirche gewidmet ist.





Die Kulturen Polynesiens friedlich vereint: Katholische Kirche neben Marae:



Hinter der Kirche endet die Straße, wenige Stichstraßen führen von hier aus dann noch in die Berge, aber nicht sehr weit. An Pickups hat es dennoch keinen Mangel, in allen Stadien des Verfalls.





Genau wie schon auf Hiva Oa selbst grüßen die Marquesianer im Vorüberfahren meist freundlich mit dem Shaka-Gruß, wie die Hawaiianer. 🤟

Während wir vor der Kirche warten, üben die Franzosen das, das Ganze hat ja auch was sehr Lässiges, was es ja auch symbolisieren soll: Alles entspannt hier. Wir machen uns den Spaß, das mit Mr. Spock's Vulkaniergruß zu erwidern, was für Irritationen sorgt. Trekkies sind das hier keine, aber das ist auch schon eine andere Generation, wahrscheinlich sind sie im Star Trek-Universum nie zuhause gewesen. Immerhin stellen sie sich der Herausforderung, die Finger zum "Live long and prosper"-V zu formen. Ist auch bißchen schwieriger als der Shaka. 🖖
 
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Dann geht es zurück zum Boot. Hier gibt es gottseidank eine der Größe der kleinen Fischerboote angepaßte Anlandestelle, so daß man bequem einsteigen kann. Der Seegang ist selbst hier in der Bucht nicht ohne, aber mit etwas Unterstützung klappt es gut.

Wir fahren weiter die Westküste hinauf bis an die Grenzen der Zivilisation auf dieser Insel. Hapatoni heißt der kleine Ort, der seit einigen Jahren durch das besonders hochwertige Kunsthandwerk, das hier gefertigt wird, zum Anziehungspunkt auch für Kreuzfahrttouristen geworden ist. Als wir in die Bucht fahren, tummelt sich in dem kabbeligen Wasser eine Schule Delphine, die in den Wellen spielen oder jagen, so genau kann man das nicht erkennen. Unser Skipper macht sich den Spaß und dreht ein paar Runden um sie herum.



Hapatoni wird unsere letzte Station vor dem Picknick an einem einsamen Strand sein, so wurde uns erzählt, und als wir von Bord gehen, fährt das Boot wieder hinaus in die Bucht, die beiden Frauen begleiten uns in den Ort, während die beiden Männer für das Mittagessen fischen werden. Daß wir einen Allergiker in der Gruppe haben, habe ich mehrfach angesprochen, da solle ich unbesorgt sein, sie hätten auch Fleisch dabei.

Wen wir nicht dabei haben, ist der Ehemann der französischen Familie, wie kurze Zeit nach dem Aussteigen auffällt, und es stellt sich heraus, daß der fotoverrückte Mann, noch ganz vertieft in seine Delphinfotos, das Aussteigen vergessen hat. Er sitzt an Bord in einer Ecke und so muß das Boot zurücktelefoniert werden.

Die Crew nimmt es mit Humor, auch sonst sind die vier ganz nett, wenn man aber auch merkt, daß sie sowas entweder noch nicht oft oder nie gemacht haben oder schlicht desinteressiert sind. Alle vier wirkten mehr mit sich selbst beschäftigt, als mit den Gästen. Getränke werden erst nach nachdrücklichem Nachfragen ausgehändigt. Kurios ist dabei, daß die bei W-LAN-Jimmy erworbenen Softdrinks nicht für uns bestimmt sind, sondern nur für die Crew. Für die Gäste gibt es ausschließlich Wasser. Ich habe wenig Vertrauen in die fischfreie Zubereitung des Grillguts, das wird insbesondere der Ehemann im Auge behalten müssen.



In Hapatoni verstellt uns ein Schiffswrack, aus dessen Rumpf malerisch die Farne wachsen, den Blick auf die dörfliche Szenerie. Dahinter schlachtet man gerade ein Schwein und ein paar Touristen sind davon genauso fasziniert wie die Jagdhunde, die vermutlich auf Abfälle warten.



Wir gucken auch einen Moment zu, aber eigentlich wollen wir zum Kunsthandwerkermarkt, von dem sogar der Lonely Planet zu berichten wußte, wenn auch sonst nicht viel über Tahuata in Erfahrung zu bringen war.

Daß Tahuata heute für besonders hochwertige Schnitzereien bekannt ist, ist der Initiative einer einheimischen Mutter zu verdanken, die hoffte, der Inselbevölkerung damit eine berufliche Perspektive zu bieten und die Abwanderung der Jugend nach Papeete oder gar nach Metropolfrankreich einzudämmen. Ein renommierter tahitianischer Tiki-Schnitzer, Teriki Marchand, wurde eingeladen, Schnitzunterricht auf der Insel zu halten und war von der Gemeinde und dem ganzen Projekt so angetan, daß er bis heute dageblieben ist.

Ob es die Abwanderung der Jugend wirklich beendet, wage ich allerdings zu bezweifeln, denn dafür gibt es noch andere Gründe als die Arbeitslosigkeit. Anders als man gemeinhin meint, ist das Leben in der Südsee keinesfalls frei und ungebunden, und dabei waren die ursprünglichen polynesischen Gesellschaften zuvor nicht weniger restriktiv als die christlichen Kirchen. Die jungen Leute leben hier in einem starren Korsett familiärer Bindungen und Verpflichtungen und auch der Grund und Boden gehört zumeist Sippen und keiner Einzelperson, so daß man vor Verwandtschaft, die sich plötzlich entscheidet, in dem Palmenhain, den man selbst jahrzehntelang gehegt und gepflegt hat, ein Haus zu bauen, niemals sicher ist. Jean-Jacques hat uns erzählt, daß die meisten Jugendlichen eine Karriere beim Militär oder in der Verwaltung anstreben, was sicherlich auch ein Grund ist, weshalb die Zugehörigkeit zu Frankreich von vielen als Vorteil gesehen wird.

Die Tahuatianer, oder wie immer sie sich nennen mögen, schnitzen nicht nur Holz, sondern insbesondere Knochen und abgeworfene Geweihstangen der hiesigen Hirschpopulation. Die Stücke sind in einem Gebäude auf Tischen präsentiert, das vermutlich sonst die Gemeindehalle oder etwas ähnliches ist. Es gibt keine Geschäfte, die Tische und die Waren werden vermutlich jeden Tag aufgebaut, bevor die ersten Besucher in die Bucht einlaufen.



Die Stücke sind wunderschön, man erkennt durchaus, daß das eine besondere Qualität hat. Tiki-Schnitzereien sind auch nicht einfach Freestyle drauflos geschnitzt, es gibt tatsächlich einen konkreten Maße-Kanon für die grafischen Darstellungen und auch die Köpfe der Tiki, der Abstand der Augen, der Umfang des Kopfes im Verhältnis zum Körper, das ist alles festgelegt. Es gibt Schmuck und stilisierte Waffen und viele Tiki aus allen möglichen Materialien.



Ich wäre durchaus geneigt, etwas zu kaufen, aber der Ehemann erklärt mich für verrückt. Die Preise sind tatsächlich enorm, ungefähr dreimal so hoch wie selbst auf dem Markt von Papeete, der als zentrale Anlaufstelle für Touristen ohnehin schon die höchsten Preise haben dürfte. Im Schnitt möchte man deutlich über 100 Euro für einen Tiki haben, manchmal kratzt es an den 200. Selbst wenn man den gegen Null gehenden Materialwert einmal beiseite läßt, sondern die Preise rein als Arbeitslohn der Künstler betrachtet, ist das über alle Maßen teuer. Henris Onkel gestern wollte für seine kleinen Holztiki, die der lächelnden Prinzessin von Punaei nachempfunden waren, nur einen Bruchteil des Preises. Letztlich siegt bei mir auch die Vernunft. Wären wir hier in einem Drittweltland, hätte ich wohl angefangen zu handeln und dann für einen wesentlich niedrigeren, aber wahrscheinlich immer noch (zu) hohen Preis etwas gekauft, einfach um die Menschen zu unterstützen. Aber da sind wir hier nicht und der Ehemann hat schon recht, daß es schon irgendwie Nepp ist, den man eigentlich genau nicht unterstützen sollte.

Das französisch-deutsche Paar kauft etwas, ansonsten niemand, aber es werden sich schon noch genügend Kreuzfahrer hier einfinden. Wir gehen zurück zum Boot und alle müssen inzwischen mal aufs Klo. Es gibt sogar eine hübsch bemalte öffentliche Toilette, nur weiß niemand, wer gerade den Schlüssel hat. Der findet sich dann gottseidank, denn bis zu unserem einsamen Strand ist es noch ein Stück, aber der Weg lohnt sich.





Wir haben schon viele traumhafte Strände auf dieser Welt gesehen, nicht nur auf dieser Reise, aber die Bucht, in die wir dann einbiegen, springt sofort auf einen der obersten Plätze, noch bevor wir überhaupt einen Fuß an Land gesetzt haben. In der Bucht von Hanamoenoa dümpeln zwei Segelboote, aber der Strand ist menschenleer.



Hinter der ersten Palmenreihe erkennt man ein paar Gebäudestrukturen aus Holz, das wird dann wohl unser Grillplatz sein, ansonsten liegt eine halbmondförmige Bucht vor uns, menschenleer und unfaßbar schön.




Wir warten an Bord, bis das Boot geankert ist und ein am Strand liegendes Dinghi gebracht wurde. Wir werden grüppchenweise an den Strand gefahren und die Angelegenheit sieht ungeheuer wackelig aus. Ich sehe mich schon mitsamt Rucksack, Kameratasche und allem drum und dran zwischen Boot und Dinghi ins Wasser fallen und mir ist das überhaupt nicht geheuer. Lieber schwimme ich die Strecke zwischen Boot und Strand zweimal hin und her als diese Akrobatik mitzumachen. Der Ehemann, der schon im Dinghi sitzt, ist wenig begeistert, als ich ihm meinen Krempel in die Hand drücke und erkläre, mit den Mädels aus der Crew zusammen an Land zu schwimmen. Die gucken dann auch etwas verdutzt, als ich mit ihnen von Bord springe. Mir ist aber durchaus klar, daß ich die Nummer auf dem Rückweg nicht wiederholen kann, denn anders als aus dem Dinghi kommt man auf das Boot nicht zurück, es gibt keine Leiter.



Bis zum Essen haben wir Freizeit und alle wollen sofort ins Wasser, bis auf die Fotografen natürlich. Der französische Familienvater mit seiner roten Badehose wird zum Running Gag unserer Urlaubsfotos, er flitzt aufgedreht von einem Ende des Strandes zum anderen, kehrt ab und zu zum Grillplatz zurück, um die Kamera zu wechseln und ist zack wieder unterwegs. Nach der Reise hatten wir Schwierigkeiten, Fotos zu finden, auf denen nicht doch in irgendeiner Ecke die rote Badehose das Bild vom menschenleeren Traumstrand trübt, aber es gibt sie.



Wer auch nicht ins Wasser kann ist natürlich der duch seinen Unfall gehandicapte Deutsche. Die Mutter der französischen Familie berichtet, sie selbst sei von ihren Unfallfolgen gerade erst genesen, als wir uns zum Baden fertigmachen erkennt man noch die verblassenden Hämatome. Während einer Wanderung auf Tahiti sei sie abgestürzt und habe sich relativ viele Prellungen zugezogen, aber zum Glück keine Brüche. Was für uns daran bemerkenswert ist, ist die Tatsache, daß die teils anspruchsvollen Wanderungen, die in Französisch Polynesien häufig mit Seilen gesichert an Steilhängen entlangführen, zwar gelegentlich auch zu Unfällen führen, aber tatsächlich niemals jemand ganz verschwindet, wie es auf den Seychellen immer wieder vorkommt und ja gerade im vergangenen Jahr mehrfach passiert ist. Es mag an der unterschiedlichen Topographie der Inseln liegen, aber angesichts der Tatsache, daß Französisch Polynesien vor der Pandemie annähernd genauso viele Besucher hatte wie die Seychellen, ist das schon auffällig.




Das Essen geht natürlich voll in die Hose. Die Crew lümmelt etwas abseits von unserer Gruppe in Hängematten und unterhält sich. Witzig ist, daß das ruppig klingende Marquesianisch tatsächlich auch in der Alltagssprache so klingt wie bei einem Haka-Tanz, es hört sich an, als würden sie sich über irgend etwas aufregen, aber nach der Mimik zu urteilen ist das nur eine ganz normale Unterhaltung. Der Tisch ist nett gedeckt, es gibt jede Menge Obst und jetzt auch reichlich Wasser (die Softdrinks sind natürlich hinten bei den Hängematten), aber der Grill ist klein und sowohl Fisch als auch Fleisch werden munter auf dem Grillrost mit der gleichen Zange hin und hergeschoben und gewendet. Ich gehe nochmals rüber und spreche das an, obwohl es jetzt auch eigentlich schon zu spät ist, der Ehemann ist heute auf Beilagen-Diät. Er nimmt es mit Fassung.

Wir schwimmen ausgiebig und sonnen uns, es ist herrlich hier. Nur so ganz am Rande sehe ich aus dem Augenwinkel immer wieder das Dinghi. Und mein Bauchgefühl sagt mir, daß man den Tag nicht vor dem Abend loben soll.



Als die Jungs das Dinghi dann am späten Nachmittag in die Brandung schieben und ich schon sehe, wie schwierig es selbst für Leute mit guter Körperbeherrschung ist, da hineinzuklettern, habe ich schon die erste Panikattacke. Hinein komme ich dann aber doch noch halbwegs vernünftig und umklammere ängstlich die Videokamera und meinen Rucksack. Weil keine Ruderer mehr hineinpassen, wird das Dinghi bis zum Boot geschoben, das Wasser in der Buch ist flach genug dazu. Dann klettern alle nacheinander an Bord, auch der verletzte Deutsche wird einarmig hineingehievt. Ich bin die letzte im Dinghi und der Skipper, der das Boot von hinten in Position hält ist entweder schon müde oder es wird schwieriger, je leichter es wird, keine Ahnung, jedoch driftet es mit jedem Wellengang immer weiter vom Boot weg und hinter mir flucht er leise vor sich hin. Ich bin viel zu klein, um aus eigener Kraft mit einem Schritt vom Dinghi auf die Reling zu treten, der Höhenunterschied ist viel zu groß. Der andere Mann aus der Crew versucht mich vom Boot aus hinaufzuziehen, während das Dinghi unter meinem Fuß wegschwimmt und ich merke, wie mein Arm ihm langsam aus den Händen gleitet. Entweder falle ich jetzt wie eine Schildkröte rückwärts ins Wasser oder ich werfe mich bäuchlings auf die Reling. Irgendwas in meinem Hirn entscheidet sich für letzteres, und jetzt hänge ich da, halb im Boot, halb draußen. Alle an Bord springen auf und ziehen an mir, bis ich endlich wie ein gestrandeter Wal auf den Planken liege. Wären wir nicht so eine nette Gruppe, wäre ich sicher schon zum unfreiwiligen Tiktok-Star geworden, denn der Anblick muß für die Götter gewesen sein. Oder mit anderen Worten: Es ist unendlich peinlich.

Auf der Rückfahrt ist das dann schnell vergessen. Die Sonne scheint, die Laune ist gut und wir fotografieren uns gegenseitig grüppchenweise auf den Bänken, damit auch mal alle, die zusammengehören, mal zusammen auf den Fotos sind. Das gemeinsame Abenteuer schweißt zusammen.



Abends trifft sich die gesamte Gruppe im Restaurant der Hanakee Lodge wieder. Ich habe den Bootsausflug unbeschadet überstanden und alle kommen an unseren Tisch und erkundigen sich. Ich würde ja lieber den Mantel des Schweigens über das unrühmliche Ereignis breiten, aber sie meinen es ja alle nur nett.

Die Hanakee Lodge offeriert heute Abend Languste und da der Ehemann ja kein richtiges Mittagessen hatte, gönnt er sich die, genauso wie auch sämtliche Franzosen am Nachbartisch.

So endet unser Aufenthalt auf Hiva Oa und rückblickend war es vielleicht der abenteuerlichste Aufenthalt von allen. Die abgelegenen Boule-Spieler von Hiva Oa, die Tiki. Tahuata, ein Ort so einsam und abgeschnitten vom Rest der Welt. Und dazu Brel und Gauguin, was für eine Mischung und was für Eindrücke. Eigentlich wäre ich gern noch einen Tag geblieben, aber morgen reisen wir weiter nach Nuku Hiva.
 
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Leider lassen sich hier im Forum manche Bilder nicht in der Originalgröße darstellen, ich hab mein Möglichstes versucht mit verschiedenen Hostern, aber ich wollte sie jetzt auch nicht einfach weglassen. Ich hoffe, man kann trotzdem noch erkennen, wie schön dieser Strand war. :love:
 
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Am nächsten Morgen haben wir nur noch wenig Zeit, unseren idyllischen Balkon im Bananenhain mit der tollen Aussicht über die Bucht von Atuona zu genießen. Hier haben wir viel zu wenig Zeit verbracht.



Obwohl das Wetter jetzt durchgehend trocken war, ist der nächtliche Beo nicht zurückgekehrt, wahrscheinlich hat Joséphine ein ernstes Wort mit ihm geredet.

Beim Auschecken fragt mich die Rezeptionistin nach der gestrigen Tour. Eigentlich war alles toll, und was nicht toll war, hätte sich durch die Mitnahme einer einfachen kleinen Leiter vermeiden lassen. Sie ist dann auch ganz erstaunt, daß keine dabei war. Eigentlich mag ich es sonst ja ganz gern, Orte zu besuchen, an denen die Dinge noch nicht so stromlinienförmig durchorganisiert laufen, aber das gestern war zumindest für mich grenzwertig.

Die Deutsch-Franzosen tauschen Kontaktdaten mit uns, schon wegen der Fotos. Ein gewisser Kontakt besteht bis heute. Auch die französische Mutter kritzelt mir kurz vor Abflug noch ihre Emailadresse hinten auf die Bordkarte, die ich dann im Verlauf der Reise in Gedanken wegwerfe, was sehr schade ist.

Wir verabschieden uns von Jean-Jacques, der den Aufenthalt hier zu einem ganz besonderen gemacht hat. Die Hanakee Lodge und die Pension Joséphine wären, sollten wir jemals nach Hiva Oa zurückkehren, immer wieder die erste Wahl.

Bis Nuku Hiva ist es nicht weit, der Flug dauert eine gute halbe Stunde. Hier werden wir von einem Fahrer unserer Unterkunft abgeholt.

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Auf den ersten Blick wirkt die Insel ganz anders als Hiva Oa. Die Nordspitze der Insel, auf der der Flughafen liegt, ist der einzige Bereich Nuku Hivas, der ausreichend flaches Terrain bietet, daß man einen Flughafen errichten konnte. Das Land erinnert an die Kanaren und obwohl hier der größte Teil der landwirtschaftlichen Produkte erzeugt wird, nennt man den Landstrich die Terre Déserte, die Ödnis.



Der Eindruck ist trügerisch, denn am Ende der Terre Déserte geht es hinauf in die Berge und im Vergleich zu dem, was dann folgt, wirkt die Terre Déserte tatsächlich wüstenartig. Die Serpentinenstraße windet sich hinauf in die Hochebene von Toovii, das Wetter ist regnerisch und die Berge hängen in den Wolken. Hier oben weiden Rinder unter dick mit Flechten und Epiphyten bewachsenen Bäumen, es ist herrlich.





Dann sind wir im Hotel. Das Nuku Hiva Pearl Resort hat der Ehemann ausgesucht.



Sozusagen als Entschädigung dafür, daß ich ihn hierher, in die Tiefen der Kannibalenländer geschleift habe. Und ja, die Wahl war ganz offensichtlich gut.





Ursprünglich hatten wir einen Bungalow der mittleren Kategorie gewählt, nicht direkt über dem Restaurant aber auch nicht ganz oben am Berg. Als wir jetzt zu unserem Häuschen geleitet werden und der Weg kein Ende nehmen will, ahnen wir schon etwas.



Da, wo die Bungalows der mittleren Kategorie stehen, wird geklopft und gehämmert, da sind Zimmerleute am Werk. Und nein, das wird nicht unser Problem sein, denn als wir am Ziel sind, gibt es neben uns keinen weiteren Bungalow mehr. Wir haben den allerhöchsten mit atemberaubendem Blick über die Bucht.



Wenn wir jemals irgendwo im wahrsten Sinne des Wortes ein Upgrade bekommen haben, dann hier.



Alle unsere Unterkünfte waren schön, jede auf ihre Art. Aber in so einer liebevoll dekorierten Hütte haben wir bislang noch nicht gewohnt.



Auch hier haben wir ein Ausflugspaket gebucht. Fünf Nächte, zwei Ganztagsausflüge. Wir können uns aussuchen, an welchen Tagen wir die Ausflüge machen wollen, einer wäre gleich für morgen vorgesehen, aber den verschieben wir direkt ans Ende. Morgen werden wir hierbleiben und erstmal ausgiebig diesen Luxus genießen.

Gegen Abend machen wir uns auf ins Restaurant. Die blaue Stunde ist hier eher lila, der Sonnenuntergang über der Bucht von Taiohae läßt den Himmel leuchten.



Unser Häuschen. Wie wir ja inzwischen gelernt haben, bedeutet das Symbol im Giebel nicht, daß hier eine Brillenträgerin eingezogen ist.

Das Restaurant erfüllt die Erwartungen über Gebühr. Auch aus den umliegenden Unterkünften kommen die Gäste "zu uns" zum Essen. Und so dauert es nicht lange, bis wir dem älteren Ehepaar aus dem Fare Suisse, die wir zuletzt in der Waldgaststätte in Puamau gesehen haben, begegnen. Das gibt ein fröhliches Wiedersehen, die beiden sind total lieb.



Das Essen ist phantastisch und natürlich mangelt es hier nicht an Gerichten mit Sauce bleue, die man offenbar kreuz und quer durch alle Inselgruppen Französisch Polynesiens liebt. Serviert wird alles auf eleganten Platten und kleinen Näpfchen. Daher gibt es hier ausnahmsweise auch mal ein paar Essensfotos, denn das ist so gut, daß es für die Nachwelt festgehalten werden muß:



Morgen liegt ein langer, ruhiger Tag vor uns, an dem wir nur die Unterkunft genießen werden.
 
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Am nächsten Tag erwachen wir ausgeruht und erholt, die Betten sind grandios bequem.



Die Sonne strahlt durch die Fenster herein. Vor dem Fenster ist ein Draht gespannt, ob das eine Wäscheleine sein soll, oder eine Absturzsicherung, man weiß es nicht. Auf keinen Fall würde ich mich aber trauen, hier irgendwelche mit Rei in der Tube im Waschbecken geschrubbten Klamotten von der Leine flattern zu lassen. Das ist hier schließlich nicht das Motu Iti. 😉



Zum Frühstück gibt es Buffet und wir sitzen lange bei Kaffee und Croissants.





Wir wandern ein bißchen durch die Anlage,



die meiste Zeit verbringen wir aber auf dem großzügigen Balkon mit Blick über die Bucht von Taiohae.



Genau gegenüber liegt der Hafen über dem der große Tiki Tuhiva trohnt, genau genommen sind es zwei, eine weibliche Götzenfigur und ein Krieger.

Es ist aber eine moderne Installation, erst wenige Jahre alt, und kein historischer Tiki. 12 Meter ist er hoch und sieht wirklich sehr außerirdisch aus:


Gelegentlich gehen wir zur Quelle neben dem Haus und füllen die Thermosflaschen, die jeder Gast des Hotels als Willkommensgeschenk erhält, mit frischem Quellwasser. Wenn man wollte, könnte man aus einem anderen Hahn sogar kochend heißes Wasser zapfen. Es war wirklich so heiß, daß man sich daran verbrüht hätte, ich habe es getestet und frage mich, was das für Energiekosten generiert.

Mittags ist der Ehemann der einzige Gast im Restaurant. Es gibt Burger und er ist so gut wie er aussieht (sagt der Ehemann).



Die Ruhe tut nach den zwei intensiven Tagen auf Hiva Oa gut, denn morgen geht es ja schon wieder los. Ich bestelle für den kommenden Tag zwei Sandwiches, da haben wir unseren ersten Ausflug vor und der wird anstrengend. Und ist überhaupt der Ausflug, über den wir die meisten Diskussionen hatten. Denn es ist der Ausflug, der uns dem am nächsten bringt, was man so Kannibalen nennt.

Antropophagie lautet der eigentlich korrekte Ausdruck für den rituellen Verzehr von Menschenfleisch. Das Bild vom Missionar, der im Topf mit brodelndem Wasser sitzt, während irgendein Eingeborener mit Knochen durch die Nase und dem Löffel in der Hand um ihn herumtanzt macht sich aber besser. Nicht nur die BLÖD, sondern auch Zeitungen wie der Spiegel sind ganz vorn mit dabei, wenn es darum geht, so etwas für die eigenen Schlagzeilen auszuschlachten und das Bild vom Menschenfresser in der Südsee aufrecht zu erhalten. Die Gelegenheit dazu ergab sich zuletzt vor gerade gut zehn Jahren, als ein deutsches Seglerpaar hier auf Nuku Hiva von einem Einheimischen Marquesianer überfallen wurde.

Viele haben die Geschichte von Heike Dorsch und Stefan Ramin vielleicht damals schon verfolgt und erinnern sich an die Schlagzeilen:


oder zumindest an die Verfilmung des Buches von Heike Dorsch unter dem Titel "Blauwasserleben".


Einen Versuch, sich den Motiven des Täters und der Geschichte seiner Ergreifung anzunähern, leistet das Buch Tod im Paradies von James Vlahos.


Wenn man dort liest, daß nach monatelanger erfolgloser Suche durch das französische Militär erst die Bereitschaft seines eigenen Vaters, seinen Sohn in den Tälern Nuku Hivas ausfindig zu machen, dazu führte, daß er gefaßt werden konnte, sagt das mehr darüber aus, wie wild und unwegsam die Marquesas sind, als alle Beschreibungen.

Was sich zwischen Täter und Opfer genau abgespielt hat, als Stefan Ramin den Täter, einen Einheimischen aus Nuku Hiva in das Tal von Hakaui zur Wildschweinjagd begleitete und nicht mehr zurückkehrte, wird man niemals genau wissen.

Aber das Tal von Hakaui hat noch weitere Geheimnisse, denn hier liegt der Wasserfall von Vaipo, den Cousteau einst mit 1200 Metern als den höchsten Polynesiens vermessen hat. Kleiner Fun Fact am Rande ist ja, daß wir auf dieser Reise, vor über 8 Wochen, in Florida den ehemaligen Funker von Cousteau kennengelernt haben, so schließt sich der Kreis.

Den Wasserfall erreicht man über einen alten Königsweg, der gut 4 Kilometer tief in das Tal führt. Und genau den wollen wir morgen gehen. Ob wir das wohl überleben werden?
 

Pemimae

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Mir gehen auch die Superlativen aus. Einfach nur genial und schön, dass ihr den Ausflug überlebt habt ;)
 

binebiene

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Ah auf Boote steigen ist für mich auch die Hölle.
In Thailand habe ich kürzlich jede weitere Bewegung verweigert. Dann haben die das Boot bisschen umgebaut.

Dass Brel für die Einheimischen geflogen ist finde ich toll.
Ich bin total fasziniert von den Royal Flying Doctors und früher habe ich immer gesagt: ich will so viel verdienen dass ich dann später ehrenamtlich für die fliegen kann.

Stand jetzt wird das schwer.

So genug OT: beim Rest bin ich auch sprachlos.
 
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Nach dem Frühstück geht es los. Zu den Sandwiches bekomme ich an der Rezeption einen Rucksack mit einer Wasserblase, aus der man sich während des Gehens per Trinkschlauch bedienen kann. Wo genau das Mißverständnis gelegen hat, kann ich nicht sagen, es ist durchaus möglich, daß die zwei Liter Wasser, die mir angekündigt wurden, sich darauf bezogen, daß jeder von uns einen solchen Rucksack genommen hätte. Wir nehmen einen, da der Ehemann die schwere Kameratasche trägt, und werden unterwegs feststellen, daß wir viel zu wenig Wasser haben.

Im Moment glauben wir noch eher, daß für uns, als bewegungsfaule Großstadtbewohner das größte Problem sein wird, auf 8 Kilometern bergauf bergab mit dem Gruppentempo mitzuhalten. Das Ehepaar, das wir auf Hiva Oa kennengelernt haben, hat die Inseln ja in der umgekehrten Reihenfolge besucht und die Wanderung in der letzten Woche schon gemacht. Sie erzählten uns, ihr Guide habe ein sehr langsames Tempo angeschlagen, sei häufig stehen geblieben, um Dinge zu erklären und sie schauen und fotografieren zu lassen. Die zwei größeren Flüsse, die es zu durchqueren geben wird, sollen aktuell wenig Wasser führen, von daher dürfte das auch kein Problem sein, sonst würde die Wanderung ja auch sicher abgesagt.

Wir sind ungefähr 10 Personen, die meisten deutlich jünger als wir, auch ein Kind im Kindergartenalter ist dabei, das allerdings dann letztlich doch die meiste Zeit von seinem Vater getragen wird. Ein paar Ältere haben wir auch in der Gruppe, das sind aber eher so die hageren Typen, denen man schon an den Rucksäcken, die sie tragen, ansieht, daß sie auch zuhause Wandervögel sind. Am spannendsten ist aber, daß uns ein Filmteam eines polynesischen Senders begleitet, das eine Doku über das Tal von Hatiheu dreht.

Am Hafen von Taiohae steigen wir ins Boot. Der Hafen ist aus der Nähe betrachtet recht übersichtlich.



Beim Klauen erwischt! Hunde in schlimmem Zustand sieht man eigentlich kaum. Die meisten gehören vermutlich irgendwohin und streunen tagsüber nur so herum.



Unsere Guides heißen Maria und Mai, ein Ehepaar, sie stammt gebürtig aus dem Tal von Hakaui und ihre Familie lebt dort. Was wir auch bald merken werden.

Man kann zwar von Taiohae auch über die Berge nach Hakaui wandern, aber das ist eher was für Ultramarathon-Läufer. Wir fahren mit dem Boot aus der Bucht von Taiohae heraus, dann eine Weile an der Südküste Nuku Hivas entlang. Unterwegs sehen wir Mantarochen, riesige Tiere, eine ganze Schule. Da das Wasser hier vor den Marquesas mangels Riffbarriere aber bis an die Küste tief und dunkel ist, sind die schwarzen Rücken nur schwer zu erkennen und daher gibt es auch keine Fotos.



In der Bucht von Hakatea ankern wir und waten an Land. Hakaui, erklärt uns Mai, war früher ein Tanzplatz, daher der Wortteil "Haka".



Wir müssen zunächst einen schmalen Wanderpfad entlang der Küste bis in die nächste Bucht zum Beginn der antiken Königsstraße laufen. Der Weg dauert ungefähr eine Viertelstunde und endet an einem kleinen Fluß, eigentlich eher ein etwas breiterer Bach. Mai, unser Guide, hat bereits Wanderstecken vorbereitet, die er an die Gruppe verteilt. Sie sind tatsächlich beim Laufen über den Kiesgrund des Flusses recht hilfreich.



Am anderen Flußufer beginnt die Straße, zunächst als Grasweg und geht dann später in ein grobes „Kopfsteinpflaster“ aus Lavabrocken über. Hier gibt es nichts außer ein paar verstreuten Hütten zwischen üppigen Obst und Gemüsegärten, die sehr gepflegt aussehen. Man kann sich kaum vorstellen, daß dieses Tal einstmals das am dichtesten besiedelte Nuku Hivas war. Hier lebte die königliche Familie und für eine besonders beliebte Königin machte sich das Volk die Mühe, eine Straße anzulegen, die wir jetzt benutzen werden.





Eine Cousine nimmt uns in Empfang, wir werden schon erwartet, ein Tisch mit lokalen Produkten ist aufgebaut und wir bekommen erklärt, was es heute Mittag zu essen geben wird. Soso, denke ich, von einem Mittagessen war bislang keine Rede. Der Großteil der Gruppe entschließt sich, Essen zu bestellen, um 13 Uhr wird es fertig sein, bis dahin werden wir hier zurückerwartet. Mir schwant, daß unsere Wanderung nicht ganz so ruhig verlaufen wird wie die unserer Bekannten aus Hiva Oa.



Zunächst läßt es sich aber an wie erwartet. Wir marschieren gemütlich, das Filmteam zumeist am Ende. Auch wir dürfen Obst pflücken, frische Limetten und Grapefruit. Am Wegesrand weiden angepflockte Pferde und über uns ragen die Berge in den Himmel.



Die Strecke, die man hier mit einem Auto befahren kann, dürfte nur gut 500 Meter lang sein, wurde aber vielleicht von den lokalen Tikischnitzern genutzt, um ihre Waren zum Abtransport an den Strand zu fahren.



Das Ortsende überwacht ein kleiner, vollständig bemooster Tiki

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Dann geht es hinein in den Wald. Die Atmosphäre ist düster und ein bißchen mystisch.



Was vielleicht auch an diesem Schild liegt. Es gibt sie also doch…

Aber keine Sorge. Cannibal-Art ist ein hiesiger Tourguide, der individuelle Führungen in das Tal anbietet und den wir sicher gewählt hätten, wären wir nicht über unser Ausflugspaket gebunden gewesen.

Die Locals spielen natürlich gern mit dem Image des Kannibalen, wissen sie doch genau, daß manche Touristen das als Nervenkitzel sehen. Ob und wie sehr im nicht deutschsprachigen Ausland die Geschichte um Stefan Ramin überhaupt Aufsehen erregt hat, wissen wir nicht. Für die Franzosen hier hat der Name vermutlich überhaupt keine Bedeutung. Wir, als einzige Deutsche in der Gruppe, sind uns natürlich bewußt, daß wir jetzt genau hier sind, wo das passiert ist, und daß Maria, die ja hier aufgewachsen ist, mit Sicherheit jedes Detail kennt. Wir verkneifen es uns aber, die Geschichte anzusprechen, als wären wir ein paar Voyeure.

Wir durchqueren einen zweiten Fluß, etwas breiter und etwas tiefer, aber alles kein Problem, wenn man langsam geht und achtet, wohin man den Fuß setzt. Dann geht es langsam aufwärts und die Straße wird unwegsamer. Man muß nicht wirklich klettern, aber der Untergrund ist uneben und bei Regen sicher schwieriger zu gehen. Festes Schuhwerk ist auch vonnöten, die Mutter des Kleinkindes in der Gruppe läuft in Flipflops und hat dabei sichtlich Schwierigkeiten.

Wir können gut mithalten, es gibt auch tatsächlich noch eine längere Pause mit Erläuterungen, denn hier im Tal befindet sich eine archäologische Besonderheit. Ungefähr auf halber Strecke sehen wir, mit bloßem Auge nur erkennbar, wenn man darauf hingewiesen wird, oben in einer steil abfallenden Felswand, einen weißen Fleck. Es ist ein Sarkophag. Wie man heute, dank Einsatz der Drohnentechnik, weiß, sind es eigentlich drei Sarkophage, aus dem Holz des Brotfruchtbaumes, der hier in Massen wächst, und in Form eines Kanus gestaltet, mit dem die darin Bestatteten ins Jenseits fahren, das in der Glaubenswelt der Polynesier draußen auf dem Ozean liegt.

Die Sarkophage beherbergen eine Prinzessin, einen Krieger und einen Priester, so wird uns erzählt. Nachdem man sie dort hinaufgebracht hatte, wurde auf dem Rückweg jeglicher Zugang hinter sich zerstört, keine Leitern oder Treppen führen mehr hinauf, womit verhindert werden sollte, daß feindliche Gruppierungen sich der Knochen bemächtigen, um sie zur rituellen Zwecken zu verwenden. Wir hörten schon von der Gewohnheit, die Hirnschalen bedeutender Personen zu Trinkgefäßen zu machen.



Danach kommt noch ein letztes Steiles Stück und ein letzter kleiner Wasserlauf, den wir unter tiefhängenden Ästen gebückt überqueren müssen, dann sind wir am Ziel. Oder dem, was unsere Guides dazu erklären, denn von hier aus kann man den Wasserfall im gleißenden Mittagslicht eigentlich kaum erkennen.

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Ohnehin ist es nur ein Rinnsal, von den früheren Wassermassen ist nicht mehr viel übrig, was einen paradoxen Grund hat. Während wir Europäer es gewohnt sind, daß Wasserknappheit, so man sie denn nicht dem Klimawandel zuschreibt, mit Bevölkerungswachstum und damit einhergehender Bodenversiegelung und sinkendem Grundwasserspiegel erklärt wird, ist es hier umgekehrt. Französisch Polynesien gehört zu den wenigen Ländern, deren Bevölkerungszahl heute sehr viel niedriger ist als im 19. Jahrhundert, eine Folge der Kolonialisierung.

Bevor die Missionare ihre Kirchen und Tempel in der Nähe des Meeres errichteten und die zum Christentum übergetretene Bevölkerung an die Küsten zog, lebten die Polynesier bevorzugt im Inselinneren, Täler wie dieses hier waren dicht bevölkert und die Pflanzungen, vor allem des Grundnahrungsmittels Brotfruchtbaum, wurden gepflegt und kultiviert.

Mit dem Wegzug der Menschen blieben die Bäume sich selbst überlassen und breiteten sich ungehindert aus. Neben Kokospalmen bedeckt der Brotfruchtbaum heute die Hänge der Täler und als stark wasserzehrende Pflanze gräbt er den Flußläufen die Zuläufe ab. Der den Wasserfall speisende Fluß versiegt zunehmend.

All dies hören wir aber nur von Maria, das letzte Stück der Wanderung durch die Brotfrucht- und Kokosplantagen gehen wir nicht. Es wird von den Guides als zu gefährlich erachtet, die in den Hängen lebenden Ziegen treten immer wieder Felsbrocken los und die Verantwortung für einen dem Steinschlag erlegenen Touristen möchte niemand übernehmen. Außer Cannibal-Art übrigens, der sich einfach einen Haftungsausschluß unterschreiben läßt.

Während wir von unserem Aussichtspunkt in der Ferne den Wasserfall zu erkennen und zu fotografieren versuchen, gibt es eine Erfrischung in Form von Grapefruits, die wir auch dringend nötig haben, denn inzwischen haben wir bemerkt, daß unsere angeblichen zwei Liter Wasser schon zur Neige gegangen sind.

Es ist schon schön hier, so tief im Tal. Die Vögel zwitschern, die Mangos sind reif und hängen von den Bäumen, es ist richtig, richtig tropisch, wir sind hier wirklich tief im Dschungel. Eigentlich müßte man sich für die Wanderung wirklich einen ganzen Tag Zeit nehmen und bis zum Wasserfall gehen, dort baden, sich ausruhen und dann wieder zurück. Besonders verlockend finde ich auch die Aussicht auf die Landschaft oberhalb des Wasserfalles, wo die Nadelbäume stehen. Sollten wir nach Nuku Hiva zurückkehren, was wir vorhaben, wären die Hochebenen der Insel ohnehin das vorrangige Ziel.

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Für uns endet die Wanderung aber hier an dieser Stelle und Maria drängt zum Aufbruch. 90 % der Gruppe haben schließlich einen Termin bei der Cousine zum Mittagessen und als wir alle mit Händeklatschen und „Allez, allez“-Rufen zum Aufbruch angetrieben werden, ist mir klar, daß jetzt Schluß mit lustig ist.

Wir sind offenbar schon ein bißchen spät dran, denn jetzt geht es zügig bergab. Der Ehemann und ich finden an dem Tempo mal überhaupt keinen Gefallen. In dem unwegsamen Gelände kann man so nur noch auf seine Füße gucken, um zügig voranzukommen, von der Wanderung hat man so nichts mehr. Außerdem tritt nun eine leichte Dehydrierung ein. Wir teilen uns das letzte Wasser und gehen langsamer hinterher. Mai, unser Guide bleibt bei uns. Verlaufen kann man sich hier eigentlich nicht, und wenn es nach uns ginge, könnte er gern zur Gruppe aufschließen, wir haben ja ohnehin kein Mittagessen bestellt, aber darauf läßt er sich nicht ein.

Als wir unten im Tal ankommen, haben wir bestimmt eine Viertelstunde Rückstand auf die Gruppe und Maria ruft besorgt bei Mai an, wo wir denn blieben. Der erklärt ihr, daß wir ein bißchen langsamer seien, weil uns die Trinkvorräte ausgegangen seien, aber daß wir bald da seien. Wir haben schon den Tiki passiert, als plötzlich eine wahrhaft furchteinflößende Gestalt auf uns zugelaufen kommt.

Ein hünenhafter Mann mit großflächigen Gesichtstätowierungen und Schneckengehäusen in den Ohrläppchen, die jeden Punk, der schon seit Jahren an seinem Ohrläppchentunnel züchtet, vor Neid erblassen lassen. Die Kette aus Wildschweinhauern um seinen Hals klappert bei jedem Schritt, und daß er uns, als letzte der Gruppe, jetzt nicht verspeisen wird, können wir nur daran erkennen, daß er uns schon von weitem eine Zweiliterflasche Mineralwasser entgegenstreckt.

Vorm Verdursten gerettet von einem Kannibalen. Man glaubt es kaum.

Bei der Cousine sitzen die anderen schon beim Mittagessen. Wir beneiden sie kein bißchen, denn sie hat zum Schutz gegen die Mücken ein Feuerchen angezündet, das munter über den Eßtisch qualmt.

Wir setzen uns an den Rand und packen unsere Sandwiches aus. Der Kannibale, der sich als Ehemann der Cousine entpuppt, bringt uns Grapefruitsaft und geraspelte Kokosnuß und setzt sich zu uns und beginnt eine leise Unterhaltung mit uns. Er hat inzwischen mitbekommen, daß wir keine Franzosen sind und ein Großteil seiner Erzählungen sind ironische Lästereien über die französischen Besatzer, die sein Volk abhängig von Sozialleistungen machten. Er erziehe seine Kinder anders, sie gingen auf die Jagd und stellten eigentlich alle Dinge des täglichen Bedarfs aus den Materialien her, die ihnen das Tal zur Verfügung stelle.



Während ich ihm zuhöre bleibt mein Blick an den Solarzellen auf dem Anbau hängen. Was hier im Tal so alles wächst… Die meisten Familien beziehen in irgendeiner Form Unterstützung vom Staat, vor allem Kindergeld. Eine Sozialhilfe, wie wie man sie in Deutschland oder auch in Metropolfrankreich kennt, gibt es hier allerdings nicht. Von daher halten wir die Geschichten von den unabhängigen Jägern, die ganz auf sich gestellt leben, zumeist für geringfügig übertrieben, er wird schon hin und wieder zumindest Gelegenheitsjobs annehmen.

Es ist ja auch nicht so, als sei das Tal vollständig von der Zivilisation abgeschnitten. 😉

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Auf dem Schild neben der Telefonzelle schon der Hinweis an Wanderer, daß der Zugang zum Wasserfall aufgrund Steinschlaggefahr gesperrt ist.

In jedem Fall ist er der netteste Kannibale, den man sich vorstellen kann. Sein haarsträubendes Äußeres steht in krassem Widerspruch zu seinem fürsorglichen, freundlichen Auftreten, zumindest uns gegenüber, wir sind ja keine Franzosen. Ganz offensichtlich genießt er die Gelegenheit, sich ein bißchen zu beschweren.

Am Nachmittag brechen wir auf. Wir verabschieden uns vom Kannibalen und seiner Familie, durchqueren den Fluß und dann geht es zurück über den schmalen Trampelpfad entlang der Küste zu unserem Boot.



Abends sind wir rechtschaffen erschöpft, aber wir haben es geschafft. Am Ende war das Zusammentreffen mit den Menschenfressern von Hakaui sogar das beeindruckendere Erlebnis als der Wasserfall in der Ferne. Und wir sind ein bißchen stolz auf uns, ich glaube, keiner von uns beiden ist seit wir wissen nicht wie vielen Jahren 8 Kilometer am Stück über Stock und Stein gelaufen und wir haben die Herausforderung bewältigt, trotz des Geschlepps mit der Ausrüstung, die dann nicht einmal angemessen zum Einsatz kam.

Ob es wirklich nötig ist, sich dem Steinschlagrisiko auszusetzen und zum Fuß des Wasserfalls zu gehen, wo man in den ausgetrockneten Wasserbecken vermutlich nicht mehr baden kann, ist fraglich. Die Wanderung war auch so sehr interessant und wurde eigentlich nur durch den Eindruck getrübt, daß pünktlich zum Essen bei der Cousine zu sein Priorität hatte. Daß die beiden Guides ihre Verwandtschaft gern in die touristischen Aktivitäten mit einbeziehen und beteiligen möchten, ist verständlich und wird vermutlich auch erwartet. Ich hätte auch gar nichts dagegen gehabt, im Anschluß bei der Cousine etwas zu verzehren, aber ohne den Zeitdruck, daß das Essen zu einer bestimmten Uhrzeit auf dem Tisch steht.

Aber wunderschön war es dort!

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Abends zur Belohnung Hinano mit im Tal von Hakaui im Kannibalengarten selbst gepflückten Limetten! Das hat gezischt!



Am nächsten Tag relativiert sich unser Eindruck, wir seien so viel fertiger gewesen als alle anderen, dann auch wieder ein bißchen. Wir hängen gemütlich im Pearl Resort ab und wann immer wir an Restaurant oder Pool vorbeikommen, liegen die Teilnehmer der Wanderung, die auch in unserem Hotel wohnen, wie totgeschlagen auf ihren Liegen. Ganz so spurlos ist das also auch an ihnen nicht vorübergegangen.

Danach sind wir dann auch wieder fit und da wir nicht einmal wirklich viele Höhenmeter bewältigen mußten, haben wir nicht mal Muskelkater. WAs gut ist, da wir bei unserem nächsten Ausflug zig mal in den Jeep hinein und wieder hinausklettern werden. Denn einen haben wir auf Nuku Hiva noch und der wird uns an einen ganz besonderen Ort am anderen Ende Nuku Hivas führen. Nach Hatiheu, wo der Drache schläft.
 
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Absolut genial. Die Reise, die Bilder, deine Art zu schreiben.
Reiseblogger solltest du werden.:giggle:

Ach und obendreinn - dein Bericht, der bildet mich:)

Ganz herzlichen Dank für deine Mühe,
bin begeistert

lg, Corinna
Danke für das Lob, für die Fotos werde ich es weiterreichen. :)
 
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Nach dem Frühstücksbuffet geht es los. Wir sind zu sechst im Auto, ein französisches Paar, das lieber die Rückbank der Fahrerkabine wählt, und ein älteres Paar aus dem Elsaß, das hinten mit uns auf den Bänken der Ladefläche Platz nimmt.

Der Ehemann stellt schon beim Warten in der Lobby fest, daß der Elsässer eine verblüffende Ähnlichkeit mit Walter Röhrl hat. Als ich ihm das dann irgendwann sage, freut er sich. Er wußte zwar vorher nicht, wer Walter Röhrl ist, aber er ist tatsächlich ein paar Jahre lang Audi gefahren und hat nur Gutes über das Auto zu berichten.

Wie immer, wenn man mit Franzosen ins Gespräch kommt, fällt bald die beizeiten etwas chauvinistisch wirkende Fassade, da kommt dann schnell die Erkenntnis, daß es immer die anderen sind, die die Sprachkenntnisse beisteuern müssen, so ist das auch bei diesen beiden. Deutsch sprechen sie überhaupt nicht, nur Französisch und Pariserisch, wie er selbstironisch meint.

Bei ihr erleben wir zum ersten Mal gewisse Vorbehalte gegen die Kollaboration der beiden Staaten Frankreich und Französisch Polynesien. Sie ist ein klein bißchen gehandicapt durch eine Fußverletzung, für deren Behandlung sie im Krankenhaus mit einer Selbstbeteiligung zur Kasse gebeten wurde, und das macht sie wütend. All das hier, die schönen Straßen und überhaupt, das kommt aus französischen Steuergeldern, und sie muß hier zahlen, wenn sie krank ist, sie regt sich eine Weile auf. Ich muß an unseren Kannibalen von gestern denken, und seine Klagen über die Franzosen und ihren Einfluß auf sein Land. Auf jeden Fall haben wir jede Menge Gesprächsstoff, während wir in die Hochebene fahren.



Auch die für nicht-englischsprachige Personen problematische Rückreise über die USA macht ihr Sorgen. Immer diese Formulare, alles nur auf Englisch. Daß vor einigen Tagen die Entscheidung gefallen ist, daß wir für die Rückreise über die USA keinen Test mehr benötigen, hatte sie noch nicht gehört und darüber ist sie dann sehr erfreut.



Unser Guide, ein polynesischer Mitarbeiter der Lodge, fährt uns über die Serpentinenstraßen der Insel bis ins Tal von Taipivai. Etwas oberhalb des Tals machen wir einen Stop und werfen einen Blick in die Bucht.



Da unten war es, daß Herman Melville, der Autor von Moby Dick, sich monatelang bei einem einheimischen Stamm versteckte. Er war, lange bevor er als Schriftsteller erfolgreich wurde, von einem Walfangschiff desertiert und in das Tal von Taipivai geflohen. Vor allem die Geschichten, die er später über diese Zeit veröffentlichte, trugen zu der Legendenbildung bei, Kannibalen verspeisten sich gegenseitig zum Mittag. Heute gehen Literaturhistoriker aber davon aus, daß er sich das angeblich Beobachtete ausdachte, um seine Erlebnisse abenteuerlicher wirken zu lassen.

Der Strand unten im Tal ist genau so silbriggrau wie in dem kleinen Dorf auf Hiva Oa. Und nicht nur das erinnert daran, auch hier wird fleißig Boule gespielt.



Unten im Tal liegt ein kleines Dorf, auch hier, ganz ähnlich wie in Hapatoni auf Tahuata, sind Tische aufgebaut, auf denen Kunsthandwerk angeboten wird. Da heute Sonntag ist und vermutlich der Großteil der Künstler zuhause ist, hat die Oberaufsicht ein einzelner, ja, man kann es nicht anders sagen – Kannibale.

Er steht unserer Bekanntschaft von gestern in seinem wilden Erscheinungsbild in nichts nach. Alles da, die Gesichtstätowierungen, gepiercten Ohren, die massive Kette aus Wildschweinhauern. Er ist kleiner und drahtiger und hat das freundlichste Gesicht der Welt. Die angebotenen Waren sind schön, geschnitzte Samenkapseln als Schlüsselanhänger, Ketten aus Nüssen und vieles mehr, auch Tiki. Der Ehemann kauft einen hölzernen Tiki und ich zwei Schlüsselanhänger, einen für mich und einen als Geschenk. Alles ist für unsere Begriffe unglaublich günstig, 5 Euro kostet so ein opulent verzierter Schlüsselanhänger.

Alles wird sorgfältig unter dem Namen des Künstlers, in dessen Auftrag das hier verkauft wird, in ein Buch eingetragen. Wir taufen ihn den Buchhaltungskannibalen und fragen ihn, ob wir ein gemeinsames Foto machen dürfen. Mit Ehemann und Tiki. Er schaut erst ein bißchen schüchtern, taut dann aber schnell auf und macht eine Shaka-Geste für die Kamera.

Am Straßenrand große Gruppen freilaufender Pferde. Die Tiere sind nicht wild, sondern gehören irgendwem, bewegen sich aber frei über das Land, nach meinem Eindruck waren das immer die Stutengruppen mit den Fohlen.



Geritten werden anscheinend vorwiegend die männlichen Pferde und die sieht man häufig angepflockt an langen Seilen, wahrscheinlich, damit sie zur Verwendung schnell greifbar sind. Manche davon verheddern sich mit den Leinen im Gebüsch und bei weitem nicht alle hatten in Reichweite etwas zu saufen. Alte Reiterkrankheit, daß so etwas immer gleich auffällt, das wird vermutlich nie aufhören.

Auf so ein armes mit seinem Seil in ein Gebüsch verwickeltes Geschöpf treffen wir dann auch, als wir die Kultstätte von Teiipoka erreichen. Unseren Guide, der ja vermutlich regelmäßig mit Gästen hier vorbeikommt, scheint er zu kennen und begrüßt ihn mit einem Brummeln. Der hilft ihm dann auch gleich aus der Bredouille und das Pferd trollt sich zufrieden, soweit das Seil es zuläßt. Es grast zwischen den Marae und den am Hang verstreuten, mit Petroglyphen übersäten Felsbrocken.

Hier in Teiipoka gibt es nicht nur ein Marae, sondern auch sogenannte Paepae, Fundamente, auf denen früher Häuser standen, außerdem eine Sammlung von Tiki und die besagten Felsen, deren Inschriften bislang nicht richtig gedeutet werden konnten. Es sind somit eigentlich drei Kultstätten in einer, ein regelrechtes Kultstätten-Supercenter sozusagen.



Wir klettern den Hang hinauf und unser Guide zeigt uns den wilden Kaffee, der hier am Hang wächst. Das Klettern ist übrigens schwieriger als gestern auf der Wanderung. Und diesmal haben wir selbst Flipflops an.

Weiter unten dann der gigantische Banyan



zwischen dessen Wurzeln sich früher eine Grube für als Menschenopfer gedachte Gefangene befand.



Das ist wirklich gruselig.



Während wir den Baum noch bestaunen, passiert ein Reiter die Anlage und verschwindet im Wald, der Sattel mit Speer und Gewehr behängt, offenbar geht er auf Wildschweinjagd. Es hat ein bißchen was von Freilichtmuseum, ist aber tatsächlich der normale Alltag hier und nicht extra für uns inszeniert.

Hinter jeder Wegbiegung gibt es jetzt neue Ausblicke auf unser Ziel.



Das Tal von Hatiheu mit seinen faszinierenden Felsformationen.



Das Dorf liegt jetzt am Sonntag ruhig und verlassen da. Später werden wir hier essen, aber erst fahren wir weiter, so weit die Straße reicht. Das sind aber nur noch ein paar Kilometer bis sie endet. Hier gibt es nur noch eine verlassene Satellitenstation des Militärs. Von Ziegen erobert:



Wir steigen aus und blicken über die Nordostküste von Nuku Hiva.





Und hier liegt er dann und schläft. Der Drache. Ich finde es faszinierend, wie die Felsen bis ins Detail einem Drachen gleichen, inklusive Nasenlöchern und allem was dazugehört.



Man erkennt ihn gut, oder?

Im Dorf von Hatiheu spielen ein paar Kinder im Wasser, ansonsten ist alles verlassen. An manchen Stellen hat der Sand die Farbe von Schokolade.



Die einzige Gaststätte, Chez Yvonne, ist ebenfalls geschlossen, aber da unser Fahrer mit Yvonne verwandt ist, dürfen wir das Lokal für unser Picknick nutzen. Wir haben alles dabei und während ich dem Guide helfe, den Tisch zu decken, bereiten die beiden Französinnen den rohen Thunfischsalat vor, den Poisson Cru. Für den Ehemann gibt es genügend Fischfreies zu essen, unter anderem einen Nudelsalat mit Crevetten. Aus irgendeinem Grund bevorzugen alle den Poisson Cru, da hat er die Schüssel fast ganz für sich allein und ist glücklich.



Danach haben wir Zeit zur freien Verfügung und alle schwärmen aus. Es gibt eine Kirche, zumindest gehe ich davon aus, denn da sie nicht abgeschlossen ist, ist es wohl eher kein protestantischer Tempel. Drinnen ist die Jungfrau Maria mit Leis behängt, es duftet betäubend.

Der Strand ist schwarzes Lavagestein.



Ich setze mich in den Schatten neben einen kleinen Tiki und betrachte die Felszinnen, für die Hatiheu berühmt ist.



Es ist ein bißchen unwirklich, wie die Felsnadeln von Ua Pou, fast ein bißchen wie aus einem Animationsfilm. Man kann sich kaum losreißen. Morgen werden wir abreisen und solche Gebirgslandschaften wie hier werden wir auf der letzten Etappe unserer Reise nicht mehr zu sehen bekommen.



Dann geht es gemütlich im Sonnenschein zurück über die Insel und wir lassen den Nachmittag auf dem Balkon ausklingen. Der Ehemann bewundert seinen Tiki aus dem Tal von Taipivai



bis es Zeit wird ins Restaurant aufzubrechen. Wir begegnen zum letzten Mal dem Ehepaar aus dem Fare Suisse, die morgen ebenfalls abreisen, und verabschieden uns. Dann gönnen wir uns noch einen letzten Cocktail und ein Entrecote mit Sauce bleue. Wir werden für eine ganze Weile nicht mehr so gut essen, das wissen wir jetzt schon ganz sicher, denn es liegt eine lange Zeit vor uns, in der ich unter primitivsten Umständen werde kochen müssen, und da ich ohnehin nicht kochen kann, sieht die Zukunft essenstechnisch nicht gerade rosig aus. Wir genießen jeden Bissen.



Wir haben uns sehr wohl gefühlt, der Ehemann sogar so sehr, daß er nur wegen des Hotels wieder nach Nuku Hiva kommen würde. Ich schon allein wegen der Hochebene von Toovii, davon haben wir bislang viel zu wenig gesehen. Und nach Ua Pou müßte man auch mal, aber leider gibt es zum Zeitpunkt unserer Reise keine Flugverbindung mehr.

Wir wissen ja noch nicht, daß uns der morgige Tag noch einen echten Loïc-Moment bescheren wird und wir danach ganz sicher nach Nuku Hiva zurückkommen wollen.
 

Sabine B.

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Der Ort mit Blick auf den Drachen (das sind definitiv keine Felsen….☝️) und dem schokobraunen Sand ist jetzt mein absoluter Lieblingsplatz aus Eurem Bericht - da hätte ich mich nicht sattsehen und nicht losreißen können.❤️
Was die Natur in der Lage ist, zu erschaffen, ist oft so unbeschreiblich - aber das hier - da bekomme ich wirklich Gänsehaut - ich höre ihn förmlich im Schlaf atmen…😳😊
 
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Der Ort mit Blick auf den Drachen (das sind definitiv keine Felsen….☝️) und dem schokobraunen Sand ist jetzt mein absoluter Lieblingsplatz aus Eurem Bericht - da hätte ich mich nicht sattsehen und nicht losreißen können.❤️
Was die Natur in der Lage ist, zu erschaffen, ist oft so unbeschreiblich - aber das hier - da bekomme ich wirklich Gänsehaut - ich höre ihn förmlich im Schlaf atmen…😳😊

Ja, Hatiheu ist wirklich ganz außergewöhnlich und den Drachen fand ich auch so krass.
 
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Weil nur an wenigen Tagen der Woche Maschinen auf den Marquesas landen und abfliegen, ist an den Flugtagen natürlich die Hölle los. Alles was an Taxi- und sonstigen Transferunternehmen existiert, ist unterwegs, die Gäste zum Flughafen zu bringen und die Neuankömmlinge abzuholen.

Alle werden auf die Fahrzeuge verteilt und wir haben das Riesenglück, ein Fahrzeug für uns zu haben. Wir müssen unsere Fahrerin Fabienne mit niemandem teilen.

Das Auto ist ihr eigenes, das ist ihr Business, man kann sie für Inselrundfahrten buchen oder eben auch für Transfers. Fabienne ist eine der wuchtigen, selbstbewußten Marquesianerinnen, wie wir sie überall hier kennengelernt haben. Sie ist tiefenentspannt und zeigt das auch jedem, der ihr begegnet, durch ein fröhliches Winken mit der Shaka-Geste, wie es hier üblich ist.


Ob das Shaka-Zeichen tatsächlich seinen Ursprung in den abgetrennten Fingern eines brutalen Aufsehers hatte oder eine Variante des Victory-Zeichens ist, sicher ist, es ist hier auf den Marquesas ebenso gebräuchlich wie auf Hawai'i.

Fabienne fragt uns nach unserem Aufenthalt und wir erzählen ein bißchen. Daß wir vielleicht wiederkommen wollen, weil die Hochebene von Toovii so interessant aussieht und wir nur im Vorbeifahren ein paar kurze Blicke darauf werfen konnten. Na, sagt Fabienne, das können wir ändern, wir haben jede Menge Zeit, wir können überall anhalten, wo ihr wollt.

Und das wollen wir, immerzu und ständig.

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Die Straßenränder sind gesäumt von dicht mit Farnen bewachsenen Bäumen, Nestfarne, Schwertfarne.

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Weiter oben an den Hängen dann ganze Wälder von Cyatheen, Baumfarnen.

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Fabienne hält an, wo es uns gefällt. Mitten auf der Straße, da passiert schon nichts, hier fahren alle langsam und um uns herum. Das Wetter hier oben ist wie üblich feucht und diesig, jetzt sind wir mitten in den Wolken. Es ist die selbe mystische Atmosphäre wie in Papeno'o. Nur daß wir diesmal alles bestaunen können, solange Fabienne uns läßt.

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Wir fotografieren wie verrückt und irgendwann fragt sie, für die das ja hier alltäglicher Anblick ist, was uns daran denn so fasziniert. Die Üppigkeit der immergrünen, feuchten Nebelwälder, sowas haben wir zuhause nicht. Wie ist es denn bei Euch, fragt sie, und ich sage, daß ich es bei uns auch schön finde, denn wo kein Winter, da auch kein Sommer und dieses Gefühl der erwachenden Natur im Frühling kann man nicht kennen, wenn man vorher nicht den Preis des Winters bezahlt hat. Wie, meint Fabienne, was ist denn im Winter? Naja, alles kahl, sage ich, keine Blätter an den Bäumen.

Fabienne macht große Augen, das hat sie noch nie gehört, ich muß ihr genau beschreiben wie das aussieht, nackte Äste ohne Blätter. Das findet sie ja ganz furchtbar. Sie war schon in Europa, als sie jünger war und von Beruf Tanzlehrerin, sogar zu Auftritten bis nach Japan, aber nie im Winter, kahle Bäume, das hat sie noch nie gesehen.

Wir werden uns noch wundern, wie oft wir das Wort Winter in den nächsten Wochen hören werden.

Fabienne stammt aus Ua Pou und wir erzählen ihr, daß wir von der Insel fasziniert sind und sie gern besucht hätten, es ja aber keine Flugverbindung gibt. Oh doch, die gibt es, die Helikopter, die jeden Tag über Taiohae fliegen, das sind keine Rundflüge, sondern die Flugverbindung von hier nach Ua Pou. Aber günstiger ist es mit der Fähre.

Hätten wir das gewußt. Nun müssen wir ganz sicher nochmal her. Sie hält mit uns am höchsten Punkt der Serpentinenstraße, bevor es wieder hinab geht in die Terre Déserte. Da hinten, das ist Ua Pou. Wenn man genau guckt, kann man sogar die unwirklich aussehenden Säulen erkennen. Faszinierend.



Dann geht es langsam wieder abwärts und wir verlassen die Hochebene von Toovii. Unten in der Terre Déserte liegt knapp außerhalb des Bergschattens der Grand Canyon von Nuku Hiva, eine völlig andere Landschaft. Es gibt so viel mehr an dieser Insel zu entdecken, als wir uns vorher überhaupt ausmalen konnten.

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Am Flugzeug gibt es eine herzliche Verabschiedung von Fabienne. Sie hat echte Loïc-Qualitäten und unserem Aufenthalt den besten Abschluß gegeben, den man sich vorstellen kann!

Dann geht es hinein in das Flugzeug

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und wir verlassen die nur halb gezähmte Inselwelt der Marquesas. Möge es ewig so bleiben!

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Als wir in Papeete ankommen, kommt es uns vor, als wären wir monatelange weg gewesen und nicht nur eine gute Woche.

Am Flughafen laufen ein paar aufgeregte Menschen auf uns zu, großes Hallo, es sind die Leute, mit denen zusammen wir auf Rangiroa in der Blauen Lagune auf Palmendieb-Jagd gegangen sind. Man läuft sich hier einfach immer wieder über den Weg! Wir warten gemeinsam auf unsere Transfers. Dann erscheint Thérèse diesmal persönlich und wir fahren ins Fare Suisse.

Ein Tag voller Umräumereien und des Kofferumpackens liegt vor uns. Was wir jetzt brauchen, sind unsere ollsten Klamotten, die hinterher in die Tonne können. Dazu Pizza und Beni-Brot zum Frühstück. Und weil wir nicht richtig wissen, was wir von unserer letzten Station erwarten können, verpassen wir die Chance, im Champignon noch mal richtig zuzuschlagen.

Bevor wir am übernächsten Tag zum Flughafen gebracht werden, nehme ich eine endlose Dusche. Ich werde in den kommenden zwei Wochen so viel Wasser sparen, das gönne ich mir jetzt. Es wird die letzte heiße Dusche für lange Zeit. Am Flughafen nutzen wir nochmal die Gelegenheit, im lokalen McDonald's zu essen, Postkarten einzuwerfen und überhaupt nochmal den Trubel der Zivilisation zu genießen, denn jetzt geht es in die Inselgruppe, die von der der Marquesas maximal entfernt liegt.

Zur Erinnerung an die Dimensionen, die dieses Land hat:

Der Ehemann schrieb:

Da oben ganz rechts waren wir gerade und nach da ganz unten in der Mitte fliegen wir jetzt. Auf die Austral-Inseln, so weit südlich, daß sie schon knapp unterhalb des Wendekreises des Steinbocks liegen, also außerhalb der tropischen Zone.

Unser Ziel heißt Raivavae, eine Insel, deren Schönheit uns schon auf Fotos überwältigt hat, mit ihrem Atollring und der türkisblauen Lagune. Dort werden wir uns aussetzen lassen, auf einem einsamen Motu direkt am Riff.



Zehn Tage Robinson-Leben auf unserer eigenen Insel, ohne Butler, ohne Zimmerservice.
 

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Zehn Tage Robinson-Leben auf unserer eigenen Insel, ohne Butler, ohne Zimmerservice.

😯😯 echt? ohne Witz? Hab gerade das Gefühl ein spannendes Buch zu lesen und keinen RB.
Du bist echt der Hit. Absolut lesenswert, was du uns hier zeigst.
Ich muss gleich zur Arbeit und lege jetzt mal mein "Buch" zur Seite 😄. Hoffentlich geht es bald weiter

By the way : Unglaublich, der Drache - unglaublich tolle Bilder

lg, Corinna
 
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😯😯 echt? ohne Witz? Hab gerade das Gefühl ein spannendes Buch zu lesen und keinen RB.
Du bist echt der Hit. Absolut lesenswert, was du uns hier zeigst.
Ich muss gleich zur Arbeit und lege jetzt mal mein "Buch" zur Seite 😄. Hoffentlich geht es bald weiter

By the way : Unglaublich, der Drache - unglaublich tolle Bilder

lg, Corinna
Ja, kein Witz. Das ist nicht ganz so wild, wie es sich anhört, wir haben sowas auch nicht zum ersten Mal gemacht, aber das erzählen wir dann noch. Wir fliegen ja in gut einer Woche schon nach Florida und bis dahin ziehen wir den Reisebericht noch durch, also Fortsetzung folgt.
 
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