Die Geschichte mit dem falschen Challenger sorgt natürlich für Belustigung, auch bei mir, aber es ist auch ein bißchen beängstigend. Nur kurze Zeit später, vielleicht zwei Wochen, werden in Texas zwei Frauen bei dem Versuch, versehentlich in ein falsches Auto einzusteigen, erschossen. Auch in Florida wäre das nicht das erste Mal, daß man so einen Irrtum mit dem Leben bezahlt, so wie in allen Bundesstaaten in denen das "stand your ground"-Gesetz gilt.
A 25-year-old man has been charged over the shooting at a supermarket carpark in Austin, Texas.
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Aber der Ehemann hat gute Neuigkeiten. Auf dem Rückweg vom Gatorland gestern Abend meldete der Challenger ein Problem mit dem Reifen vorn links, Luftdruckverlust, nicht viel, aber dennoch kontrollbedürftig. Unser Tankstellenstop, bei dem ich einige kostbare Waschmaschinen-Quarter fürs Aufpumpen geopfert habe, scheint die Sache aber beseitigt zu haben. Alle Reifen präsentieren sich in der Anzeige so, wie sie sollen.
Das ist auch gut so, denn wir haben heute eine längere Fahrt vor, mitten nach Lakeland hinein, zum Campus des Florida Southern College. Die letzten Jahre haben wir einen Besuch hier immer zu Gunsten der nur ungefähr eine Viertelstunde entfernt liegenden Circle B Bar-Reserve gestrichen. Aber dieses Jahr war uns ohnehin klar, daß wir ein Erlebnis mit einem Monster-Alligator, wie wir es im letzten Jahr gehabt hatten, sehr wahrscheinlich nicht wieder haben würden.
Nachdem ich letzten Herbst in New York nun mein erstes von Frank Lloyd Wright geschaffenes Gebäude, das Guggenheim Museum, live gesehen habe, sollte es auf dieser Reise nun endlich in die Tat umgesetzt werden, den vom berühmtesten Architekten der USA geschaffenen Gebäudekomplex des Colleges anzuschauen.
Tour the world's largest collection of Frank Lloyd Wright architecture in Lakeland. College features 12 buildings and Usonian House.
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Der Campus des Florida Southern College bildet die größte zusammenhängende Ansammlung von FLW-Gebäuden weltweit und gilt als schönster Campus landesweit. Er ist ein National Historic Landmark und für eine Besichtigung muß man sich anmelden, da ein unkontrolliertes Herumlaufen von FLW-Fans im laufenden Universitätsbetrieb natürlich nicht gewünscht ist. Und Fans gibt es viele, die es nur der Häuser wegen in diese ansonsten ja nicht sehr touristische Gegend Floridas zieht.
Um 13 Uhr bin ich für eine Führung im Fakultätsgebäude angemeldet, aber wir sind früh losgefahren, so daß ich auch noch lange nicht unruhig werde, als wir irgendwo in der Höhe der ganzen Disney-Abfahrten in einem zunehmenden Stau landen, das ist ja wohl hier nichts Ungewöhnliches. Schlimmer ist, daß nach einiger Zeit des Stop and Go plötzlich wieder eine unerfreuliche grafische Darstellung der Reifen auf dem Display hinter dem Lenkrad erscheint. Der Ehemann ist entspannt, der Luftdruck befindet sich trotzdem noch im Regelbereich und der Wagen zeigt kein geändertes Fahrverhalten, auch nicht jetzt, als wir aus dem Stau heraus sind und es wieder normal vorwärts geht.
Da der Ehemann ohnehin kein gesteigertes Interesse an dem Universitätsgelände zeigt, wird er dem Auto eine gründliche Überprüfung angedeihen lassen, aber sollte der Reifen tatsächlich dauerhaft Luft verlieren, wäre das wohl das Aus für unseren Challenger. Es ist nicht davon auszugehen, daß Alamo uns am Abend am Flughafen einen Reifen wechselt, wahrscheinlicher ist, daß wir den Wagen getauscht bekommen. Ich versuche zu trösten und vorteilsübersetze den heutigen Ausflug. Wenn wir den Wagen wirklich abgeben müssen, hätte er heute wenigstens noch eine längere Fahrt damit gemacht, nachdem wir bis jetzt ja immer nur den Orange Blossom Trail und in die Sand Lake Road damit rauf und runtergegurkt sind. Eigentlich bin ich aber davon überzeugt, daß wir, wenn wir einen Mietwagen zurückbringen, der Probleme macht, mindestens ein genauso gutes Auto zurückbekommen werden, wenn nicht gar ein besseres.
Der Ehemann meint, er hielte es für unwahrscheinlich, daß man uns ein Auto aus der nächsthöheren Kategorie der Performance Cars geben würde, wenn bekämen wir wohl eher wieder einen Sportwagen wie diesen, aber bei der geringen Auswahl am Ankunftstag sei genauso unsicher, ob wir überhaupt wieder einen Challenger bekämen. Nun sei es ja auch keine Strafe einen Camaro zu fahren oder einen Mustang, aber der Traum war nun mal der Challenger und der droht nun zu platzen. Aber noch ist ja nicht aller Tage Abend.
Als wir in den Frank Lloyd Wright-Way einbiegen, der Zufahrtsstraße zum College, ist das Autoproblem kurzzeitig vergessen. Hier reihen sich historische Einfamilienhäuser aneinander, keine viktorianischen Villen voller Zierrat, sondern Craftsman Bungalows, als wäre es geplant so angelegt, ziehen sie sich bis zum College.
Wie eine Zeitreise durch die Geschichte der amerikanischen Architektur bis hin zu Wright und den Anfängen der amerikanischen Moderne.
Die Häuser sind wunderschön, auch der Ehemann ist beeindruckt. Der Stil hat Anleihen ans Japanische, so wie alle Architekten der Moderne sich von Japan beeinflussen ließen, auch Wright, selbst, dem ich kurze Zeit später dann vor dem Eingang zum Gift Shop quasi persönlich gegenüberstehe.
Da steht er nun, die amerikanische Ikone. Die Bronzestatue ist lebensgroß und zeigt ihn eingefangen in der Bewegung mit Hut und Gehstock. Klein an Körpergröße war er, aber ein Visionär. Geboren 1867, zwei Jahre nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkrieges, in dem die Menschen noch versuchten, sich mit Bajonetten aufzuspießen, und verstorben 1959, dem Jahr, in dem die Menschheit begann, Satelliten ins All zu schießen. Was für unglaubliche Veränderungen die Welt in dieser Zeit erfahren hat, und er selbst trug nicht eben wenig dazu bei.
Wenn man heute ein Buch über Architektur für Kinder kaufen will, ist es Fallingwater, sein wohl berühmtestes Gebäude, das auf dem Deckel abgebildet ist.
New Balance widmete ihm erst dieses Jahr ein paar Schuhe
Frank Lloyd Wright lieferte die Inspiration für die Farben des neuen „New Balance 998 Broadacre City“, den das Sneaker-Label gemeinsam mit Designer Ronnie Fieg entwickelte.
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Ich bin sehr gespannt und ein bißchen aufgeregt, ob ich dem Englisch der vermutlich aus Architektur-Nerds bestehenden Gruppe folgen kann. Aber es wird dann ganz harmlos.
Nachdem der Ehemann mit dem Challenger davongerollt ist, melde ich mich im Gift Shop auf der Suche nach meiner Führung. Außer mir ist noch ein Ehepaar da, beides sympathische Leute in unauffälliger Freizeitkleidung, keine Intellektuellen mit gestelzter Ausdrucksweise.
Unser Guide, Terence, bringt uns ins Fakultätsgebäude, ein Usonian Haus, direkt neben dem Gift Shop. Die Führung dauert nicht lange, denn das Haus ist nur klein. Terence erzählt uns, wie es zur Zusammenarbeit mit dem Florida Southern College und FLW überhaupt kam und wie die Gebäude nach und nach entstanden.
12 Gebäude bilden das „Child oft he Sun“ genannte Ensemble, in dem heute der Universitätsbetrieb stattfindet, darunter zwei Kapellen. Lediglich das Usonian House, in dem wir jetzt stehen, wird nicht genutzt, sondern ist tatsächlich nur ein Museum. Deshalb, betont Terence, sollten wir auch auf keinen Fall das Bad benutzen, das sind alles nur Attrappen!
Im Umgang mit dem faszinierenden Haus ist er aber ansonsten entspannt. Wir dürfen alle Sitzgelegenheiten benutzen und alles anfassen.
Die bodentiefen Fenster, French Doors, wie die Amerikaner das nennen, sind in Zypressenholz gerahmt, in Cherokee Red, Wrights Signaturfarbe, gebeizt, das haben alle Usonian Houses gemeinsam. Den Übergang zwischen Wohnraum und der Umwelt sollte das schaffen, so die Philosophie. Usonia, das sollte die Gesellschaftform sein, in der jeder Mensch sein eigenes Haus in diesem Stil, voller Licht und Luft und Kontakt zur Natur auf seinem eigenen Stück Land haben sollte.
Neu ist mir, daß Terence erzählt, die sehr niedrigen Decken in allen Räumen abgesehen vom eigentlichen Wohnraum, seien nicht nur ein architektonisches Stilmittel, sondern dazu gedacht, die Menschen in den zentralen Wohnräumen zusammenzubringen und davon abzuhalten, sich in den Nebenräumen zu isolieren. Was ich wußte war, daß Frank Lloyd Wrights, ebenso wie Ruskin und Morris, auf deren Philosophien sich die Craftsman Bungalows, die wir bei der Anfahrt passiert haben, begründen, eine Abkehr von der Opulenz der Viktorianischen Gebäude wollten, keine Ressourcenverschwendung durch repräsentatives Bauen mit palastartig hohen Decken, Türmchen und unzähligen Veranden, sondern eine Architektur orientiert an den Bedürfnissen der Menschen, „according to human scale“. Daß Wright, der selbst ja besonders klein war, aber absichtlich besonders niedrige Decken für Schlafräume gewählt haben soll, um den Aufenthalt dort unangenehm zu machen, höre ich hier zum ersten Mal, und finde ich unsympathisch übergriffig.
Ich beschränke mich lieber darauf, das Haus einfach weiterhin wunderschön zu finden, so wie eigentlich alle Usonians.
Als die Haus-Tour beendet ist, treten Terence und die anderen beiden die Führung über das Campus-Gelände an. Terence bietet mir an, einen Film über die Geschichte des Colleges in einem der Nebenräume anzuschauen. Ich solle die Tür einfach hinter mir zuziehen, wenn der Film zuende ist. Aber nicht die Toilette benutzen, erinnert er mich!
Wie jetzt, er läßt mich einfach allein hier in diesem Haus? Ja, natürlich will ich! Er stellt mir den Film an und ich setze mich in einen der Sessel. Nachdem sie fort sind, überkommt mich ein ehrfürchtiges Gefühl. Ich bin allein in einem Traumhaus, einem Usonian. Für ungefähr eine halbe Stunde kann ich mir einbilden, das sei hier meins. Durch die bodentiefen Fenster, die keinen Sichtschutz haben, kann man vom Gift Shop aus vermutlich genau beobachten, ob ich irgendwelchen Unfug anstelle, aber ich stehe trotzdem zwischendurch auf und setze mich für einen Moment ins Wohnzimmer und stelle mir vor, ich wohnte hier.
Als der Film zuende ist, kommt schon die nächste Gruppe. Die reagieren vollkommen verblüfft, daß hier im Haus noch jemand ist. Aber es erleichtert mir den Abschied von dem schönen Haus.
Der Campus ist auf der anderen Straßenseite, alle Gebäude gruppieren sich um einen Brunnen mit Wasserspielen, dem Water Dome.
Das Gelände fällt leicht zum Lake Hollingsworth hin ab. So baute Wright am liebsten, an einem Hang, mit Blick auf die Landschaft, der durch die tiefen Fenster unverstellt möglich sein sollte. Out of the ground and into the light – a Child of the Sun.
Am Fine Administration Building mit seinen beeindruckenden Fenstern
vorbei zur Pfeiffer Chapel
zum Planetarium
und zum Polk Science Complex, wo man den nicht anwesenden Dozenten in ihre zum Teil sehr liebevoll und witzig dekorierten Räume schauen kann.
Es macht offenbar Spaß, hier zu unterrichten, und vermutlich auch, zu studieren. Es war genau richtig, allein zu gehen und so lange stehen bleiben zu können, bis man sich sattgesehen hat.
Das Erlebnis war noch viel intensiver als vor dem Guggenheim Museum, vor dem es von Menschen nur so wimmelte. Ich war die meiste Zeit ganz allein hier und an dem sonnigen, heißen Tag war die Atmosphäre zwischen den detailliert gestalteten Gebäuden mit ihren zahlreichen Licht- und Schatteneffekten eine ganz besondere. Keine Studenten, denen ich im Weg herumgestanden hätte, eine unglaubliche Ruhe auf dem gesamten Gelände. Und dann die halbe Stunde allein in dem Usonian. Ich bin noch tief beeindruckt, wer weiß, ob ich jemals weitere Gebäude von FLW irgendwo in den USA sehen werde, in New York oder im Mittelwesten, aber sowas werde ich ganz sicher nicht wieder erleben. Es fällt schon ein bißchen schwer, in die Welt außerhalb des Campus zurückzukehren. Aber am Rande der Esplanade vor dem Gelände sehe ich schon ganz klein in der Ferne den Challenger stehen. Ob wir zu dem heute auch noch so long sagen müssen, so wie ich jetzt zu Frank Lloyd Wright?